Bärbel Valicevic
Neulich war sie Page

Die Wohnung ist hell und sehr klar, viel Weiß, ein selbst gemaltes Bild an der Wand, von Sonne durchflutet. Ein Baum in voller Blüte, man möchte ihn sofort umarmen. Bärbel Valicevic versteht das Gefühl, auch für sie sind Bäume etwas Besonderes. „In Zukunft“, sagt sie, „will ich noch viel mehr Bäume malen. Im Wald stehen und hoch gucken und sehen, wie sich das Licht in den Baumkronen bricht … Das möchte ich festhalten. Das ist mein nächstes Projekt.“
An Projekten hat es in ihrem Leben nie gemangelt. Die 62Jährige sprüht vor Ideen und vor lauter Lust, sie umzusetzen. Das meiste hat mit Kunst zu tun – mit Musik. „Musik löst ungeheure Dinge in den Menschen aus. Kraft, Energie. Sobald ich die ersten Töne höre, blühe ich auf.“
Sie wohnt seit Ewigkeiten im Unionviertel. Aufgewachsen ist sie in der Nordstadt, mit drei Brüdern in einer musikalischen Familie. „Bei uns wurde viel gesungen, ich bin meinen Eltern heute noch sehr dankbar dafür.“ Nach der Schule tut sie sich mit Zlatko zusammen; der war ihr schon auf dem Pausenhof aufgefallen. Man mag sich, und irgendwann ist man als Paar unterwegs. Zlatko und Bärbel also. Er lernt Koch und begeistert sie für die Gastronomie. In der „Krone“ am Markt und im „Römischen Kaiser“ lernt sie Hotel- und Restaurantfachfrau. „Das“, meint sie, „waren zu der Zeit in Dortmund die führenden Läden.“
Achtzehn ist sie damals. Ein paar Jahre später arbeitet sie bei Karstadt, bekommt mit 25 Maurice und zwei Jahre später Sascha. „Ich habe erst Teilzeit gearbeitet und nach der Geburt des zweiten Kindes ganz aufgehört.“ Die Jungs, klar, sind längst erwachsen. Enkelkind Jannis, dreieinhalb, wird auch von den Großeltern sehr geliebt.

Ehrenamt statt Lohnarbeit

Das Motto der nächsten Jahre: Ehrenamt statt Lohnarbeit. Viel Elan und langer Atem gehören dazu. Bärbel Valicevic ist vor 25 Jahren eine Frau der ersten Stunde bei „Provokal“. Internationale gesellschaftskritische Lieder sind ein Markenzeichen des gemischten Chors. Der hat früher im alten FZW geübt. Heute trifft man sich einmal pro Woche in einer Bildungseinrichtung in der Münsterstraße, und natürlich gibt es auch Chorwochenenden, die dem intensiveren Proben und dem Zusammenhalt dienen. 2010 haben die sangesfreudigen Männer und Frauen unter der musikalischen Leitung von Bettina Lecking den Ewald-Sprave-Preis der SPD erhalten, ihr „mutiges und engagiertes Auftreten gegen Hass und Gewalt“ wurde gewürdigt, und natürlich sind sie stolz darauf. Sie singen Lieder wie „Die Welt verändern wir“ oder „Aufsteh’n, aufeinander zugeh’n“ mit Texten von Eisler, Tucholsky, Brecht oder Heine, aber, sagt die Frau der ersten Stunde: „Wir haben auch Madrigale, Gospels oder Stücke von Stevie Wonder und den Bläck Fööss im Repertoire.“ Und dann gibt es themenbezogene Konzerte; das letzte fand zugunsten des Projekts „Ankommen e. V.“ im Februar in der Pauluskirche statt.

Ziemlich zeitintensiv

Egal, was sie singt, es baut sie auf. „Die Harmonie in der Gemeinschaft tut gut“, sagt sie. „Und dann ist so ein Chor immer auch Art von Heimat.“
Neulich war sie Page. Ein Theaterprojekt der Musikschule Kamen: Ritter Blaubart von Jacques Offenbach. Geprobt wurde ein Vierteljahr an Wochenenden („Das war ziemlich zeitintensiv!“). Der Gatte geriet ins Staunen. „’Was denn, du bist schon wieder weg?’“, hat er gefragt.“ Aber trotzdem war Zlakto glücklich, weil seine Liebste glücklich war …
Und dann gibt es „Damenwahl“. Das ist ein Damenquartett, das sich seit 2007 verschiedenen Stilrichtungen verschrieben hat: Swing, Jazz, Pop, Latin. Am Klavier der einzige Kerl in der Runde: Maurice, Sohn von Bärbel Valicevic. Der hat ebenfalls Musik im Blut, genau, meint die stolze Mutter, wie Sohn Sascha. Der spielt Schlagzeug und kann auch Gitarre. Im Elias-Keller in Dorstfeld, laut Bärbel der „heimliche Kulturtreff im Dortmunder Westen“ ist „Damenwahl“ öfter zu hören, man kann sie auch für Hochzeiten oder sonstige Feiern buchen. Und im Juni sind sie dabei, wenn ganz Dortmund im Zeichen von Klangvokal steht: 14.00 Uhr, Bühne Galerie Kaufhof.

Herzenswunsch

Mit Mitte vierzig startet die musikalische Mutter noch einmal durch und macht sich per Weiterbildung fit für Büro und Sachbearbeitung. Im Fach Rhetorik wird eine Frage diskutiert, die später in Bärbels Leben für eine Weichenstellung sorgt: „Was habt ihr für einen Herzenswunsch?“ Was dann als Antwort kommt, sei „ganz spontan aus dem Bauch raus gekommen: Ich möchte Musik mit Kindern machen!“
Der erste Schritt geht in die richtige Richtung. 1997 beginnt eine Ausbildung zur Kinderpflegerin in Unna, es folgen eine Anstellung in einer Kindertagesstätte und später zwei Jahre lang eine Musikausbildung für ErzieherInnen in Hacheney. Berufsbegleitend ist das, im Abschlusszeugnis der Fachschule für Sozialpädagogik steht schließlich eine Eins. Einen Titel gibt es nicht: „Das fand ich nicht gerecht.“ Sie bildet sich noch einmal weiter, u.a. bei Anja Witt von der Musikschule: „Von ihr habe ich sehr viel gelernt.“
Dann erfüllt sich der „Herzenswunsch“ aus dem lange zurückliegenden Rhetorikkurs: Bärbel Valicevic macht Musik mit Kindern. „Musik gerade für die Kinder ist so ungeheuer wichtig“, sagte sie. „Musik bringt sie in ihre Mitte und macht sie stark und glücklich.“ Lange Jahre arbeitet sie bei Fabido in der Lange Straße und später im Friedrich-Henkel-Weg. Das ist eine bilinguale Einrichtung – Schwerpunkt Englisch – für Kinder. Bärbel Valicevic gründet einen Elternchor und den Chor für die Vorschulkinder. Gemeinsam singt man internationale Lieder: „Die Kleinen singen ohne Probleme in verschiedenen Sprachen.“ Einige der damaligen „Sternenkinder“ singen heute an der Chorakademie, und natürlich ist Bärbel Valicevic „sehr stolz“ auf sie.

Total gerne am Meer

Und was gibt es neben der Musik in ihrem Leben? Immerhin ist sie in passiver Altersteilzeit und hat eine Menge Freiraum für private Interessen. Sie reist gerne; einmal im Jahr mit Zlatko nach Kroatien ins Haus seines Vaters ist ein Muss. Aber sie liebt auch Irland und Holland, insbesondere Bergen aan Zee hat es ihr angetan und überhaupt: „Wir beide sind total gerne am Meer.“
Studienreisen, Segeln, Kochen: „Da bin ich manchmal in Konkurrenz zu meinem Mann.“ Der kocht unter der Woche in Düsseldorf, wo er eine Großküche leitet, aber auch sonntags führt er in der heimischen Küche das Regiment. Da kommen die Kinder mit Anhang gerne mal rum, „und dann kocht immer Zlatko.“
Und dann …, ja: Dann ist da natürlich wieder die Musik. Enkel Jannis besucht mit seiner Omi einmal pro Woche die Musikschule. Und letztes Jahr hatte sie eine „kleine Idee“, aus der ein großes Projekt wurde. Singen für Kinder und ihre Eltern aus der Nachbarschaft in der Kurze Straße. Ungefähr zwanzig sind sie damals; sie haben an der Ecke im Atelier von Osman Xani einen Ort zum Proben gefunden („Das war unwahrscheinlich nett von ihm!“) und haben Herbst- und Weihnachtslieder eingeübt. Sie haben dort mit dem Chor auch gebastelt und einen Basar veranstaltet und den Erlös gespendet. Er ging an den Hospizdienst in Witten.
Danach war Schluss mit dem Projekt; vielleicht, überlegt sie, wird sie eine Neuauflage versuchen. Aber eigentlich sei ja erstmal das Malen von Bäumen dran. Und dann ist da noch zweimal im Jahr ein Samstagsworkshop im Fletch Bizzel. Da kann man, was sonst, mit ihr und einer befreundeten Musikfachfrau singen. Und da sollen unbedingt auch solche Menschen hinkommen, betont sie, „wo die Leute sagen: ‚Du und singen? Nee, das lass mal lieber!’“ Das nämlich, so Bärbel Valicevic, sei nun mal Unsinn: „Singen kann wirklich jeder!“
Und wem sollte man das mehr glauben als dieser Frau aus der Kurze Straße, die glücklich wird, sobald sie die ersten Töne anstimmt und mit anderen zu singen beginnt.

Text: Ursula Maria Wartmann
Foto: Gesine Lübbers

Mai 2016