Gudrun Mon Alvarez
Erkenntnis und Kreativität

Ihren „ökologischen Draht“, sagt sie, hat sie durch die Tischlerausbildung bekommen. In Verl nahe Osnabrück bekommt sie ihren Gesellinnenbrief, und dort, in Verl, wird sie 1961 auch geboren. Bevor sie mit 36 Jahren nach Dortmund kommt, passiert hier so einiges. Schule, die erste Ausbildung, frühe Heirat, mit zwanzig Mutter; die Scheidung nach vier Ehejahren. Sie behält Töchterchen Julia und den Namen. Als Gudrun Mon Alvarez zieht sie 1996 nach Dortmund – und bleibt.
Von Anfang an ist sie im Unionviertel unterwegs. „Damals“, sagt sie, „gab es noch dieses Handwerkerinnen-Netzwerk – ‚Handfest’ hieß das, und da habe ich einen Qualifizierungslehrgang gemacht.“ Im Union-Gewerbehof gibt es außerdem „Holz creativ“, selbst verwaltet natürlich, da arbeitet Gudrun Mon Alvarez eine Weile, „und dann“, sagt sie, „bin ich auf die Bildhauerei gekommen und habe angefangen, bei mir im Keller zu schnitzen.“

Arbeit mit Wildholz

Mit der Bildhauerin Katharina Bock, Urgestein aus dem Unionviertel, kommt sie damals auf einem Kunstmarkt in Kontakt und ins Gespräch. Das angenehme Ergebnis ist ein Praktikumsplatz und „vier sehr intensive Wochen“, die den Wunsch von Mon Alvarez vertiefen, jenseits des Fenster- oder konventionellen Möbelbaus kreativ mit Holz tätig zu sein. Sie bevorzugt Wildholz, spezialisiert sich auf kleinere Möbel. Und auf überlieferte Techniken, die auf große Maschinen und den Einsatz von Metall vollkommen verzichten. Das Hochbett von Tochter Julia entsteht auf diese Weise, es wird ein tolles Hochbett so ganz ohne Schrauben und Metall, und dann geht Gudrun Mon Alvarez einen Schritt weiter: „Damit bin ich dann in die Selbstständigkeit.“
Sie ist viel draußen unterwegs, „da habe ich Wildholz zum Bearbeiten gefunden, das sonst keiner haben wollte, und dann fing das auch mit den Skulpturen an.“
2007 zieht sie in die Sternstraße. Dort lebt und arbeitet sie in einem malerischen Hinterhof-Haus, gibt workshops, nimmt an den Offenen Ateliers teil, arbeitet und verkauft. Viel Geld braucht sie nicht für sich, und Julia ist längst aus dem Haus. Und dann, 2011 wird alles ganz anders. „Da kam der Schlaganfall.“

Und dann kam alles anders

Er soll in der Folge viel verändern. Die Lähmung kriegt sie mit Klinik aufenthalten und eiserner Disziplin in den Griff, eine bestimmte Schwäche bleibt als Folge der Erkrankung. Sie schafft es nicht, wie früher zu arbeiten, ihr fehlt ganz einfach die Kraft. Eine Rente sichert das Auskommen, das beruhigt sie sehr. Und noch etwas hält ihr Leben stabil: Der Buddhismus.
Seit fünfzehn Jahren ist sie praktizierende Buddhistin („Mein Leben hat sich enorm verbessert seitdem!“) und gehört einer bestimmten Schule des Buddhismus an, die sich auf den Mönch und Gelehrten Nichiren bezieht, der vor fast achthundert Jahren lebte. Kern seiner Lehre: Allen Menschen sei die Erleuchtung schon in der gegenwärtigen Existenz möglich. Die Gruppe in Dortmund, die dem Nichiren-Buddhismus anhängt, ist überschaubar. Zwölf Leute treffen sich einmal pro Woche reihum, um sich „dem mystischen Gesetz von Ursache und Wirkung“ zu widmen. Zu Hause hat man einen kleinen Schrein, ein Schränkchen (im Hause Mon Alvarez natürlich – ohne Schrauben – selbst gebaut …), in dem sich eine Schriftrolle befindet. „Gohonzon“ wird diese Schriftrolle genannt, vor der man die Hände zusammenlegt: Ich habe mein Leben in der Hand, ich öffne mich mit dem Mantra „Nam Myoho Renge Kyo“ noch tiefer für die Lösung eines jeden möglichen Problems. Als Buddha des Alltags sehe und respektiere ich die Würde eines jeden Lebens.

Kraft und Mitgefühl

Wie jeder Glaube kann auch dieser Berge versetzen. Dem Leben von Gudrun Mon Alvarez jedenfalls gibt er enorme Stabilität. „Ich spüre Kraft und Mitgefühl für mich und alle anderen“, sagt sie, „egal, was draußen los ist. Und wenn ich mal unten bin, tanke ich schnell wieder auf!“ Mon Alvarez lebt seit über dreißig Jahren vegetarisch, „das war damals noch überhaupt nicht in Mode und wurde ganz schön belächelt.“
Egal. Sie lässt sich nicht beirren. Damals nicht. Heute nicht. Sie schickt Töchterchen Julia allein an die Fleischer-Theke, wenn sie Wurst essen will. Sie erträgt den Gedanken an das Leiden der hoch gezüchteten Tiere nicht, von dem Geruch des Fleischs wird ihr übel.
Tochter Julia lebt heute bei Rostock, sie hat Elektromechanikerin gelernt, „und sich unheimlich durchgebissen“, und sie hat zwei knuffige Kinder: Mathilde, 8, und Mika, der ist jetzt fünf. Man sieht sich regelmäßig, mindestens viermal im Jahr steigt Gudrun Mon Alvarez in den Zug, der gut fünf Stunden braucht. Julia hat sich als Erwachsene irgendwann ebenfalls dem Buddhismus zugewandt, auch das ökologische Bewusstsein, so ihre Mutter, habe sie übernommen und gebe diese Werte an ihre eigenen Kinder weiter. „Das“, sagt Gudrun Mon Alvarez, „finde ich als älter werdender Mensch ein super Resultat für mein Leben. Einen größeren Stolz gibt es für mich gar nicht!“

Text: Ursula Maria Wartmann
Foto: Sabrina Richmann

Mai 2016