Janine Despaigne
"Halbe Sachen kann ich nicht haben."

Sie ist in Dorsten aufgewachsen. Die Lippe direkt hinter dem Haus; als Kind ist sie auf dem Deich mit dem Rad zur Schule gefahren, und mit der Großmutter („Meine Oma war die Beste, die hat auch immer auf mein Meerschweinchen aufgepasst!“), hat sie Kräuter gesucht und Feldblumensträuße gepflückt. Janine Despaigne ist 1966 im Zeichen des Stier geboren, sie ist ziemlich stur und kann, gesteht sie mit einem kleinen, bedauernden Achselzucken, auch hochexplosiv sein, aber das, nun ja, sei dem Sternzeichen geschuldet. Und sie ist ihren Weg gegangen, in durchaus verschiedene Richtungen, aber immer bis hinter die Zielgerade. Darauf ist sie stolz: „Ich habe alles zu Ende gebracht. Halbe Sachen kann ich überhaupt nicht haben.“

Erste Station: Amtsgericht Marl. Das war direkt nach der Schule, und auch das hat sie zu Ende gebracht, obwohl ziemlich bald klar war: „Justizfachangestellte – das war nicht so mein Ding.“ Was nun – was tun? Oma, die ja bekanntlich die Beste war, hatte der Enkelin neben der Kenntnis von wilden Kräutern auch früh den Spaß am Schneidern beigebracht. Daran erinnert sich die junge Janine. Sie möchte nun Modedesignerin werden und startet bei Nienhaus & Luig in Herten durch – eine Tochter des Modelabels Steilmann. Da ist sie Anfang zwanzig.

Als sie die Ausbildung als Schneiderin beendet hat, möchte sie weiter. Objektdesign, da will sie hin – Arbeit nicht nur mit Textilien, sondern mit verschiedenen Materialien. Mit Stein, Holz. Mit Glas oder Metall. In einem Atelier in Hattingen bildet sie sich ein Jahr weiter und bereitet ihre umfangreiche Bewerbungsmappe vor. Nahziel: Die Fachhochschule Dortmund.

Die Sache geht klar. Ab 1992 studiert Janine Despaigne an der FH und hat 1997 die nächste Runde erfolgreich absolviert. Nun ist sie gerade 30 und studierte Diplom-Objektdesignerin. Die sich während des Studiums im Rahmen eines Austauschjahrs (Stichwort: Erasmus-Studium) an einem sehr besonderen Ort aufgehalten hat: im magischen Barcelona.

Ein Schwelgen in Licht und in Farben

Das ist eine Weile her, aber wenn sie von dieser Phase erzählt, kriegt sie noch immer leuchtende Augen. Jeden Tag eine andere Ausstellung, ein Schwelgen in Licht und in Farben, der allgegenwärtigen Kunst des legendären Antonio Gaudi. Sie wohnt im barrio gotico, Barcelonas uraltem Künstlerviertel nicht weit vom Hafen, „wo es den besten Fisch der Welt gibt.“ Eine Holländerin wohnt in der Wohnung über ihr; man freundet sich an, zieht gemeinsam um die Häuser. „Sie war schon länger da als ich und hat mich in die Szene eingeführt.“

Janine Despaigne ist wie verhext von der Mosaikkunst des Meisters. Insbesondere die majestätische Gaudi-Bank im Park Güell, „dieses organische riesige Gebilde“ fasziniert sie. „Die Werke von Gaudi, die haben mich ganz einfach begeistert, diese mediterrane Art, aus einer Vielzahl von keramischen Elementen etwas ganz Neues zu schaffen.“

Bis dato kannte sie nur „diese Mosaiken aus den 60er Jahren, die es bei uns oft in Schulen oder Behördenhäusern gab, das war mir zu steif, das hat mich gar nicht angesprochen.“ Nun, in Barcelona, explodiert ihre Fantasie: So etwas will sie auch versuchen, dieses Bunte, Lebenspralle, Überbordende. Jetzt weiß sie, was sie will, wenn sie zurück in Deutschland ist. Sie weiß es genau: Sie wird den Arbeitsschwerpunkt auf Mosaike legen.

Milieus inszenieren

Doch nach dem Studium muss sie Geld verdienen und zieht für’s erste nach Köln. Ein teures Pflaster, aber sie kriegt einen Job dort, und der macht Spaß. Sie arbeitet als Filmausstatterin, baut Requisiten, hämmert, schraubt und malt. Sie lernt den einen und anderen Promi kennen; Helge Schneider und der früh verstorbene Christoph Schlingensief sind ihr besonders im Gedächtnis geblieben: „Die waren beide sehr zugewandt und ziemlich witzig!“ Bei der Arbeit sind Kreativität und Erfindungsreichtum gefragt. „Wir mussten Milieus für die Filme inszenieren, zum Beispiel das Wohnzimmer eines Trinkers. Da musste alles völlig fertig und abgerockt sein, bei so was muss wirklich jede winzige Kleinigkeit stimmen.“

Doch Köln – witziger Job hin oder her – wurde irgendwann zu teuer. Janine Despaigne will als freie Künstlerin eine Existenz aufbauen. 2001 zieht sie von Köln in den Dortmunder Westen. 2004 heiratet sie ihren kubanischen Freund Esteban und heißt ab da Despaigne, was, wie sie findet, „ganz vorzüglich zu meinem Vornamen passt.

Kunst im öffentlichen Raum

Doch die Kunst ist häufig – viele der Kunstschaffenden werden es bestätigen – in vielerlei Hinsicht ein hartes Brot; davon zu leben und am Ende noch gut, ist für die allermeisten nicht zu schaffen. Janine Despaigne hat lange Jahre ihre Werkstatt in einem Gewächshaus in Körne. Von 2011 bis 2013 ist sie mit ihrem Atelier im Unionviertel, Ecke Heinrichstraße und Adlerstraße, wo heute der Verlag Kettler ansässig ist. Es gibt Kunstausstellungen und Mosaikkurse, spanische Abende mit Tapas, vino und Gitarrenmusik, gut besuchte Vernissagen … Die Kundschaft liebt diesen Ort, aber letztendlich, so Janine Despaigne, „konnte ich das alleine nicht mehr stemmen.“

Es folgt ein kurzes Gastspiel in Hörde, dann die Anmietung eines Ladens in der Friedrichstraße, woraus sich, wie’s aussieht, ein längeres Gastspiel entwickeln wird. Auftragsarbeiten für privat macht Janine Despaigne dort, natürlich gibt sie weiter Kurse für Erwachsene und auch Kinder; eigens dafür hat sie eine Fortbildung zur „Fachkraft kulturelle Frühförderung“ gemacht. „Aber das Wichtigste“, sagt sie, „sind die Aufträge für Kunst im öffentlichen Raum, der dadurch ja immer auch verschönert wird.“

Leistung in Sachen Logistik

Für den Spar- und Bauverein hat sie in der Heinrichstraße eine Durchfahrt großformatig mit Mosaiken gestaltet. Gefördert vom Quartiersfond steht im Westpark eine ungewöhnlich geschwungene Mosaikbank; Hommage an ihr großes Vorbild Gaudi und dessen berühmte Bank in Barcelona. Überhaupt: der Westpark. Da stehen auch bunt gestaltete Sitzpoller der Künstlerin. Und da gibt es nun schon im vierten Jahr den Kunst – und Kunsthandwerkermarkt. Der geht ebenfalls auf Janine Despaignes Konto, und zwar komplett: Sie hat ihn erst ausgedacht, dann konsequent zu Ende durchdacht und dann ganz einfach gemacht: eine echte Leistung in Sachen Logistik, Planung und Durchführung, für die man wahrscheinlich die Sturheit einer im Sternzeichen Stier Geborenen braucht. Dann gibt es im Westpark Malereien und Skulpturen, Bildhauerarbeiten und Schmuck, Fotografien und Objekte aus Filz … Das Angebot ist groß und bunt, ganz wie das Leben und die Mosaike der Janine Despaigne.

 

Text: Ursula Maria Wartmann

Foto: Julia Reschucha

Sommer 2015