Spar- und Bauverein Dortmund
Verantwortung vor Gewinnmaximierung

Im Unionviertel fallen einige Straßenzüge allein aufgrund ihrer stilvollen und detailreichen Fassadengestaltung auf. Unter anderem trifft es auf die historische Bausubstanz an Paulinen-, Heinrich-, Adler- und Lange Straße zu. Wer dort genau hinschaut, entdeckt an den Hausnummern das Emblem der Dortmunder Spar- und Bauverein eG.

Anno 1862 setzte der Magistrat der Stadt Dortmund ein denkwürdiges Schreiben auf. Als unmittelbare Auswirkung der voranschreitenden industriellen Revolution war es eigentlich absehbar, dass ein Heer zuziehender, dringend benötigter Arbeitskräfte den Mangel an Wohnraum noch verschärfen würde. Der Aufforderung der Bezirksregierung in Arnsberg, diesbezüglich einen Bebauungsplan aufzustellen, wurde lapidar entgegnet, man werde nicht auf den “Industrie-Schwindel” hereinfallen. Unter den Konsequenzen dieser Haltung hatte die nächste Generation zu leiden.

“1820 hatte Dortmund 5.000 Einwohner, 1872 waren es bereits 44.000”, erläutert Frau Brückner-Lotsch, Pressesprecherin des Spar- und Bauvereins. „Das Unionviertel war Standort der Großbrauereien, der Zeche Tremonia und der Stahlwerke Union und Rothe Erde. Die Arbeiter mussten irgendwo unterkommen. Viele Unterkünfte wurden damals von Kleinunternehmern geschaffen, aber deren Bedingungen waren nicht immer die besten. Die soziale und materielle Not war groß. In der Folge kam der Gedanke einer solidarischen Selbsthilfe auf. Gemeinsam mit anderen engagierten Bürgern gründete Wilhelm Unverhau am 4. März 1893 den Spar- und Bauverein als Genossenschaft. Erstaunlich schnell konnten sie mit dem Bauen beginnen. Ende 1894 waren schon 48 Wohnungen bezogen. Das erste Haus stand übrigens im Unionviertel, Ecke Lange Straße / Paulinenstraße.“
Mittlerweile gilt der Spar- und Bauverein mit rund 12.000 eigenen Wohnungen im Großraum Dortmund als größter genossenschaftlicher Vermieter in NRW. Zum Bestand gehören allein 831 Wohneinheiten im Unionviertel, zählt man den angrenzenden Heinrichblock, den Barmerblock und im Klinikviertel die Josef- und Humboldtstraße hinzu, sind es sogar 952 Einheiten. Die Wohnungen sind beliebt, die Genossenschaft steht im Ruf, sich um die Belange der Mieter zu kümmern. Grundvoraussetzung für jedes Mietverhältnis ist eine Mitgliedschaft in der eG, inklusive zu entrichtender Spareinlage. „Das Motto: Erst sparen, dann bauen “, erklärt Frau Brückner-Lotsch. „Im Namen Spar- und Bauverein ist diese Reihenfolge ja bereits festgelegt. In Deutschland gibt es viele Wohnungsgenossenschaften, aber zu den Besonderheiten in Dortmund zählt die angegliederte Spareinrichtung. Eine solche haben bundesweit nur 47 vergleichbare Unternehmen und da sind wir das eine der ältesten und größten. Diese Einrichtung macht uns unabhängig vom Bankensektor. Die Spareinlagen können als Finanzierungsmittel im eigenen Wohnbestand verwendet werden  für Modernisierungsvorhaben und Neubauten nutzen.Von jedem Euro, den wir einnehmen, fließen 80 Cent zurück in den Bestand. Das ist ein krisensicheres Modell.“

Was das Unionviertel betrifft, werden aktuell die Häuser an der Albrechtstraße modernisiert. Im Zuge der Renovierung sollen die historischen Fassaden originalgetreu nachgestaltet werden. „Es wäre eine Schande, das außer acht zu lassen. Es ist nicht Ziel der Genossenschaft, für das Jetzt und Heute eine Gewinnmaximierung zu erzielen. Uns geht es darum, die Immobilie, also unser Kapital, nicht nur substanzerhaltend an die nächste Generation weiterzugeben, sondern wertsteigernd. In diesem Zusammenhang wird häufig der Begriff Nachhaltigkeit verwendet. Wir reden lieber von Verantwortung. Das ist greifbarer.“
Verantwortung übernimmt die Spar- und Bau eG für ihre Häuser, die einzelnen Wohnungen – und darüber hinaus für die betreffenden Stadtteile als Ganzes. Im Hinblick auf eine älter werdende Gesellschaft mit ihren besonderen Bedürfnissen werden zum einen, wo es möglich ist, Wohnungen barrierefrei ausgestattet. Die Ansprüche enden freilich nicht an der Haustür. „Für die meisten Senioren gilt, dass sie in dem Quartier bleiben möchten, in dem sie zum Teil schon seit Jahrzehnten leben“, sagt Frau Brückner-Lotsch. Viele Stadtviertel haben jedoch im Lauf der Zeit an Infrastruktur eingebüßt. Oft fehlen Einkaufsmöglichkeiten, die medizinische Grundversorgung und ein kulturelles Angebot. Wer aus besagten Gründen neben der Wohnung gleich den Stadtteil verlassen muss, trifft nicht mehr seine Nachbarn auf der Straße. Daraus resultiert im Endeffekt auch die Verödung sozialer Geflechte innerhalb der Bezirke. Dem gegensteuernd ist die Spar- und Bau eG bestrebt, möglichst umfassende Serviceangebote anzubieten. Kooperationen gibt es diesbezüglich mit Organisationen wie Caritas und Diakonie, darüber hinaus, konkret im Unionviertel, mit den Urbanisten und der Street Art Gallery.

Ein kleines aber feines Detail im Straßenbild ist der auf Genossenschafts-Initiative installierte offene Bücherschrank am Vorplatz der Heinrichstraße. „Wir sehen, dass er gut angenommen wird. Er funktioniert auch, weil Vandalismus längst kein Thema mehr ist, weil der Schrank etabliert ist, was ganz automatisch zu sozialer Kontrolle führte. Mit Bänken drumherum errichten wir da jetzt sogar einen kleinen Lesepark. “

 

Text: Wolfgang Kienast

Foto: Daniel Sadrowski

November 2016