Das Unionviertel
Noch glänzt nicht alles, was eigentlich Gold ist, aber die Menschen arbeiten dran

Es war eine kleine, babylonische Sprachverwirrung: Westparkviertel, Quartier Rheinische Straße. Oder … doch lieber Westend? Bis vor wenigen Jahren wusste niemand wirklich, wie man es denn nennen sollte, dieses Gebiet zwischen Emscher und U-Turm. Der Rat der Stadt hatte schon 2007 für das „Stadtumbaugebiet Rheinische Straße“ den Startschuss gegeben. Das Quartier, in dem gut 10 000 Menschen leben, sollte sich einreihen in die Riege der „angesagten“ Viertel in Dortmund. Potenzial, so die einhellige Meinung, war und ist allemal da. Natürlich gibt es graue Straßenzüge, schmuddelige Ecken, Bausünden der Nachkriegszeit. Aber es gibt auch: Gründerzeitarchitektur und teilweise schönsten Jugendstil, den Westpark, die gute Infrastruktur. Das Kind brauchte einen Namen, um Identität zu stiften. Aus einer Fülle von Vorschlägen wurde es exakt am 8. Februar 2012 aus der Taufe gehoben, und es war, als hätten sie alle genau darauf gewartet: Das „Unionviertel“ war da!

Fast in Schallgeschwindigkeit wurde der Name adaptiert, auf Visitenkarten gedruckt, auf Briefpapier. Unionviertel? Das war auf einmal in aller Munde; Unionviertel, das war ganz schnell auf einmal Kult.

Galerien und Kneipen kamen (und gingen); etliche blieben und entwickelten sich zu Publikumsmagneten. Unionviertel? Zwischenzeitlich schreiben die Zeitungen so selbstverständlich darüber, als habe es nie anders geheißen. Was auf dem Reißbrett definiert wurde, ist plötzlich Avantgarde. Kreative jeder Couleur präsentieren sich auf regelmäßigen Rundgängen einem Publikum, das aus vielen Himmelsrichtungen ins Viertel strömt. Viele „Ohs“ und „Ahs“ entlang der Wegstrecke: Du lieber Himmel, das ist ja spannend hier! Das müssen wir unbedingt weitersagen!

Unionviertel also. Viele glauben, dass der U-Turm Namensgeber für das Viertel ist; das ist aber nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte: 1892 entstand zwischen den Bahnlinien Richtung Bochum und der Güterbahnstrecke Richtung Hafen ein gigantisches Industriegebiet. Die Union-AG stand für Bergbau, Eisen und Stahl. In Dortmunds erstem Hochhaus – der Union-Brauerei, die 1929 an der Rheinischen Straße erbaut wurde – wird heute kein Bier mehr gebraut, sondern in Sachen Kunst geklotzt. Im U-Turm finden sich Museum, Kino und Fachhochschule, Installationen und Ausstellungen; die fliegenden Bilder des Filmemachers Adolf Winkelmann unter dem neun Meter hohen vergoldeten „U“ sind längst zu einem Wahrzeichen der Stadt geworden.

Unionviertel ist Kult. Wächst, verändert sich weiter. Der Mythos des alten Standorts, Kohle, Stahl und Bier, füllt sich neu mit – manchmal – überschäumendem Leben: mit der Lust auf das Neue und dem Stolz auf das Alte, was früher war. Als hart „malocht“ wurde, die Häuser grau und die Blätter der Bäume staubig waren. Noch glänzt nicht alles, was eigentlich Gold ist, aber die Menschen arbeiten dran: Alt und jung, die Architektin und der Student, die Künstlerin und der Frisör … Nicht nur die vielen frisch renovierten Fassaden bringen Farbe ins Viertel, auch die Menschen, die in „ihrem“ Unionviertel gerne leben. „Ruhris“ oder „Neuzugänge“ – egal. Hier können alle mitmischen, die Lust auf Menschen, Meinungen und Marotten haben. Es ist ein buntes, unerschrockenes Völkchen hier.

Text: Ursula Maria Wartmann