FZW

Es ist der 13. Februar 2008. Auf der Bühne des FZWs stehen Itchy Poopzkid im Zuge ihrer „Dead Serious Tour“. Es ist eines der letzten Konzerte, was im alten FZW stattfindet. Vor der Bühne stehe ich mit langen Haaren und inmitten einer Meute von springenden Menschen. Die Erinnerungen an den Abend sind schwammig, jedoch sehe ich noch heute die durchgeschwitzte Zigarettenschachtel in meiner Tasche und den Burger King Gutschein vor mir, auf dem die Band unterschrieben hat. Ich erinnere mich noch an die großen Buchstaben, in denen Muff Potter auf den Postern des Abschluss-Konzerts geschrieben stand. Seitdem hat sich einiges geändert: Das alte FZW hat schon vor vielen Jahren seine Türen geschlossen, ich höre nicht mehr die Musik von Itchy Poopzkid und meine Haare sind kürzer – einzig und allein die Gutscheine mit den Unterschriften gibt es noch.

Dies ist eine von unzähligen Geschichten aus fast 50 Jahren, auf die das FZW und seine MitarbeiterInnen zurückblicken können. Doch, was heute als Anlaufstelle für gitarrenlastige Livemusik bekannt ist, hat unerwartete Wurzeln: Es ist ein aufregendes Jahrzehnt. Der Russe Juri Alexejewitsch Gagarin wird als erster Mensch ins Al geschickt, die Apollo 11 landet auf dem Mond, die Welt nimmt Abschied von John F. Kennedy und Malcom X, West Side Story kommt in die Kinos, Bob Dylan veröffentlich „Blowin‘ in the Wind“ und die Menschen in Dortmund beginnen Häuser zu besetzen und diese zu autarken Jugendzentren umzuwandeln. Es ist ein Jahrzehnt der Veränderung, auch politisch. So muss die SPD auf die Hausbesetzer reagieren und eröffnet 1968 am Neuen Graben 167 das Freizeitzentrum West. Die Geburtsstunde des FZWs. Sechs Pädagogen, vermutlich optisch in bester 68er Manier, sollen hier nun Tag für Tag Jugendliche und Kinder umsorgen. Es ist ein klassisches Jugendzentrum inklusive Kegelbahn, Tischtennisplatte, Konzerten, Filmabenden, Töpferkursen, Malen und einem Kinderbereich. 1978 wird Paul Baranowski, später Leiter des FZWs, eingestellt. Damals steht das Team vor den ersten Problemen. Jugendliche blockierten das Jugendzentrum gegenüber jüngerem Publikum, wodurch ein Großteil der Stammgäste Hausverbot erteilt bekommt, welches sogar polizeilich durchgesetzt wird. Daraufhin sehen sich die Mitarbeiter des FZWs gezwungen, ein neues Konzept zu erarbeiten, welches einen stärkeren Fokus auf die Musik legt. Von Anfang an liegt der musikalische Schwerpunkt – teilweise zum Ärger einiger ungewünschter Gäste – auf Rock, Metal, Punk und Hardcore. Zu Beginn findet einmal die Woche ein Konzert statt und neben dem normalen Programm für Kinder und Jugendliche wird außerdem eine Kulturwerkstatt mit Musikunterricht eröffnet. Die steigende Beliebtheit der Konzerte und das neue Konzept lassen das FZW eine Entwicklung durchlaufen. „Zur Finanzierung bauten wir unseren Gastrobereich aus und nach und nach gab es immer mehr Fremdveranstaltungen“, erzählt Paul Baranowski. Zu eigenen Konzerten gesellen sich Konzerte von Fremdveranstaltern sowie Partys. Müsse Baranowski sein persönlichen Lieblingsmomente aus 30 Jahren Geschichte benennen, wäre es der Auftritt der Fantastischen Vier, das ungewöhnlich erscheinende gemeinsame Konzert von Greenday und Selig, beide kurz vor ihrem Sprung nach oben, und das Jubiläum des Heavy-Metal-Magazins RockHard. Damals war sogar MTV zu Gast, schwelgt er: „1000 Leute waren da, nur geladene Gäste. Die haben uns leergesoffen. Das ist in der Geschichte noch nie passiert. Da mussten Leute von uns zur Brauerei fahren und neues Bier holen.“ 1000 Leute in einer Venue, die ohne den Biergarten für ungefähr 600 Personen ausgelegt war – ein Rockschuppen eben.

Neben solchen Events „kamen noch einige Konzerte, für die der Laden eigentlich zu klein war. Seeed und die White Stripes waren da. Da ging die Schlange einmal um das Haus“, ergänzt Matthias Schmidt, zuständig für die PR des FZWs und seit 18 Jahren dabei. Schwierigkeiten sind also abzusehen. „Es gab Anwohnerprobleme und dazu wurden durch die Professionalisierung die Räumlichkeiten zu klein. Man merkte, man muss in eine größere Halle übersiedeln. Man hat sich dann verschiedene Standorte im Hafen oder in der Brückstraße angeschaut.“ „Bieranton“, scherzt Bukowski.

„Irgendwann kam die Stadt Dortmund auf die Idee das Ganze neuzubauen, hat die Limberg GmbH als Bauherrn finden können und das zusammen mit der AWO hochgezogen“, erzählt Schmidt weiter. So kommt es dazu, dass das alte FZW im Februar 2009 seine letzten Konzerte spielt. Ein trauriger Anlass, der aber so zelebriert wird, wie es sich für einen Ort mit dieser Historie und Bedeutung gebührt. Drei Tage lang feiern Fans und Mitarbeiter die „Final Curtain Days“ unter anderem mit Bands wie Burst, Patterns, My Choice Was Made, Melody Vee und natürlich Muff Potter und Ghost of Tom Joad.

Zu dieser Zeit verlässt auch Paul Baranowski aus verschiedenen Gründen das FZW. Sie haben sich auseinander gelebt, die Stadt und er. Andere Vorstellungen und andere Ziele. Es wird Zeit sich Neuem zu widmen, zum Beispiel dem Summersounds DJ Picknick. Wenn er heute auf das Geleistete zurückblickt, ordnet er dem FZW eine Pionierrolle zu: „In Bezug auf die Aufbauarbeit, die im Rock ‚N‘ Roll Bereich geleistet worden ist, waren wir die Besten. Wir waren Vorreiter. Wir haben in der Szene viel bewirkt und vor allen Dingen das Bewusstsein geschaffen, dass es notwendig ist, solche Clubs zu haben. Was die Bands angeht, haben wir natürlich ebenfalls Aufbauarbeit geleistet. Viele der Bands, die hinterher in großen Hallen gespielt haben, haben ihren ersten Auftritt bei uns gehabt. Daraus resultierte dann auch irgendwann die Tatsache, dass man größer werden musste, um gute Bands vielleicht auch ein zweites Mal auftreten zu lassen.“

So soll es geschehen. Nur wenige Monate nach Schließung eröffnet das neue FZW am 11. September 2009 in der Ritterstraße 20 – wieder mit Muff Potter. Dieses Mal auf neuer größerer Bühne. Die neugebaute Location fasst in der großen Halle 1400 und im Club 300 Gäste und ist damit ein Ort, der Dortmund für viele Booking-Agenturen erst interessant gemacht hat. „Dortmund ist durch das FZW für Bands einer gewissen Größe wieder auf der Karte“, erzählt Matthias Schmidt nicht ganz ohne Stolz. Dazu kommt die Spezifikation der Eventlocation. Eine fest installierte Anlage sowie gute Isolierung. Doch trotz der Grundvoraussetzungen ist der Start kein leichter. Durch die Haushaltssperre der Stadt Dortmund fehlen dem Freizeitzentrum die Mittel, um beispielsweise Flyer und Plakate zu drucken. Die Finanzierungsprobleme und der daraus resultierende offene Brief der Mitarbeiter führen jedoch letztendlich dazu, dass das FZW, seitjeher im städtischen Betrieb, ausgeschrieben wird und so in die Hände von Till Hoppe, Betreiber der panUrama GmbH, übergeht. Geändert haben sich die wichtigen Dinge dadurch nicht. Die Belegschaft und Strukturen sind die gleichen geblieben und heute wie damals unterstützt der Club junge Künstler, wenn auch auf andere Art und Weise.

Seit 2014 ist das FZW beispielsweise Liveurope-Mitglied, einer Plattform für neue europäische Talente, die Konzerte von Künstlern aus den 13 Mitgliedsländern subventioniert. So bekommen Bands wie Aurora oder Bilderbuch die Möglichkeit europaweit Bekanntheit zu erlangen. Vor dem Beitritt verzeichnete das FZW bereits 15 EU-Bands, dieses Jahr waren es schon 41. Insgesamt kommt der Club auf 250 Konzerte im Jahr, die ihm neben einem facettenreichen Programm vor allem eines beschert haben: ein treues Publikum. Das FZW ist ein Ort, zu dem jede Band und jeder Besucher seine ganz persönlichen Geschichten zu erzählen weiß. So auch ich. Zwar sind meine Haare kürzer, mein Musikgeschmack ist mit mir gereift, doch noch heute stehe ich vor der Bühne des FZWs und zünde mir nach dem Konzert eine Zigarette an, die ich mit meinen Fingern aus der durchgeschwitzten Schachtel ziehe, im Ohr das Wummern von lauten Gitarren. Bis zum nächsten Konzert.

Text: Jan Kempinski

November 2016

Ritterstraße 20
44137 Dortmund
T. 0231 286808910

www.fzw.de