Adlerhaus
Christina Kaiser: "Alles läuft rund!"

Adlerhaus: Hier helfen Menschen mit Herz

Die alte Abendrealschule heißt jetzt „Adlerhaus“. Das klingt unbedingt charmanter als „Flüchtlingsheim“, und es trifft die Sache auch besser: Seit das leer stehende Gebäude in der Adlerstraße für Flüchtlinge hergerichtet wurde, wird versucht, es den Menschen hier einigermaßen gemütlich zu machen. Man kann aus Kohle kein Gold machen, klar; aus einer alten Abendrealschule auch keinen Palast. Aber was geht, wurde getan, und dann ist es auch der Geist, der hier weht. Man spürt, dass Menschen mit Herz hier denen helfen, die es so hart im Leben getroffen hat, dass man Einzelheiten oft nur schwer erträgt. Ohnehin schweigen die meisten … Wie ja auch die Menschen in Deutschland nach dem Krieg. Wer hat von den Eltern wirklich erfahren, was damals geschah?!

„Keine besonderen Vorkommnisse“ vermeldet Christina Kaiser, seit 2014 Leiterin im Adlerhaus. Will heißen: Seit im November letzten Jahres das Haus eröffnet wurde, laufen die Dinge im Wesentlichen rund. Keine der seinerzeit geäußerten Befürchtungen hat sich bestätigt: Keine Konflikte innerhalb der Flüchtlingsgruppen, die sich nicht lösen ließen. Keine Randale in der Nachbarschaft. Keine Katastrophenmeldungen von Seiten der Polizei. Im Viertel wird nicht weniger eingebrochen und überfallen als vorher.

Aber, hey, eben auch nicht mehr!

 

Kurze Wege, überschaubare Bürokratie

Im Flur dudelt Musik, etwas Orientalisches, ein Plakat vermeldet, dass Kleiderspenden momentan nicht nötig sind, ein paar Kinder rennen lachend die Treppen hoch und wieder herunter. Ein paar Alte sitzen auf Stühlen entlang der Wand, einer tippt etwas in sein Smartphone, andere starren vor sich hin. Vor der Tür zum Büro steht ein junger Mann, fast noch ein Kind, aus dem Kosovo. Er hat sich beim Sport verletzt. „Die Kletterhalle in der Nordstadt“, sagt Christina Kaiser lakonisch; der Junge verzieht tapfer das Gesicht, als sie Wundsalbe aufträgt und einen Verband anlegt. Routine für die gelernte Krankenschwester, die später noch Pädagogik studierte. In Dortmund kennt man sie aus Huckarde: Fast 35 Jahre lang gehörte sie hier zur Leitung des Frauenzentrums.

Nun also das Adlerhaus. Wo, wie gesagt und dem Himmel sei Dank, im Wesentlichen alles rund läuft, was, so Kaiser, ganz viel mit dem VMDO zu tun habe: „Die Zusammenarbeit mit der Beuthstraße ist für uns definitiv ein Erfolgsgarant gewesen!“ Kurze Wege, eine überschaubare Bürokratie, Unterstützung und Rückhalt in allen Fragen – die Chefin ist dankbar, dass im Unionviertel die Dinge sich so wunderbar fügten.

(Zum Verständnis: Der VMDO in der Beuthstraße ist der Verbund sozial-kultureller Migrantenvereine Dortmund e. V., der in Trägergemeinschaft mit der GiD – Gemeinnützige Gesellschaft für interkulturelle Dienstleistungen mbH – das Adlerhaus betreut).

Es ist meist ein Zusammenspiel vieler, was gutes Gelingen möglich macht, und so ist es auch hier. Unzählige Ehrenamtliche arbeiten mit – es gibt Deutschunterricht, Bastelgruppen, Klettern, Boxen, Fußballtraining … Und samstags wird im ersten Stock die Kantine leer geräumt. Dann krachen die Boxen und kreisen die Disco-Kugeln und wer kann, tanzt sich für eine Weile den Stress und die Angst, die Gewalt und die furchtbaren Verluste aus dem Leib. Und das kalte glitzernde Gefühl von Unbehaustsein in einer ganz und gar fremden, unbekannten Welt.

 

Wer bleiben will, nimmt alles an

Die meisten „Küken“ aus dem Adlerhaus gehen mittlerweile zur Schule. Acht Kinder sind in der Grundschule Landgrafenstraße, und, erläutert Kaiser, „es gehen bestimmt zwanzig weitere Kinder in Auffangklassen.“ Unterricht in deutscher Sprache vom ersten Tag an ist ein hartes Brot, aber die Kleinen und Größeren sind mutig und tapfer und entschlossen, mit großem Einsatz zu lernen: „Wer bleiben will und kann, nimmt alles an. Wer weiß, dass er nach einem halben Jahr wieder gehen muss, sagt natürlich dann eher nein zu den Angeboten.“

Hand auf’s Herz: Wer würde das in vergleichbarer Situation anders machen?

15,5 feste Arbeitsplätze wurden zwischenzeitlich für das Adlerhaus geschaffen – in den Bereichen Pädagogik, Hauswirtschaft, Reinigungs- und Aufsichtsdienst. Da es, so Kaiser, „jedoch keine Vorkommnisse gibt“, packt das Aufsichtspersonal (zertifiziert durch Sicherheitstrainings bei der IHK) beherzt auch bei sachfremden Aufgaben mit an, hilft immer wieder bei Auszügen und Aufräumarbeiten. Auszüge? O ja, im gesamten Stadtgebiet sind Flüchtlinge aus der Adlerstraße mittlerweile untergekommen. Entweder durch Vermittlung von (Sozial-)Amts wegen. „Oder uns rufen Vermieter an und sagen, sie würden auch Flüchtlinge nehmen. Mit einem Restrisiko: Sie wissen ja nicht, wie lange die Flüchlinge bleiben werden.“

Seit November fand in der alten Abendrealschule eine komplette Umwälzung statt: 120 Flüchtlinge kamen – und gingen. Eine Großfamilie ist nach Mazedonien zurückgekehrt, eine weitere Familie aus dem Kosovo wurde geschlossen ausgewiesen. „Der Rest hat Wohnungen gefunden. Und immer wieder kamen und kommen die Neuen dazu.“

Materiell ist für sie gesorgt. Bekanntlich ist die Spendenbereitschaft der Deutschen enorm – immer und überall. Auch im Unionviertel war das von Anfang an so. Möbel, Kleidung, Lebensmittel – von allem war sehr schnell alles da. Momentan herrscht daran kein Mangel. Möbel, Mäntel, Kinderspielzeug – davon gibt es genug. Doch da sind die Dinge des täglichen Bedarfs. Alles rund um das Thema Hygiene wird gerne genommen, vom Rasierschaum über Pampers bis hin zur Zahnpasta oder zum Toilettenpapier: „Einfach bringen“, sagt die Chefin resolut. „Und wenn uns jemand mit einem Blechkuchen überraschen will, ist das auch wunderbar!“

 

Sie reden nicht darüber

Beim zweiten Runden Tisch, vor vielen Wochen war das in der Beuthstraße, als erste Resümees gezogen wurden, trat auch Christina Kaiser ans Mikrofon. Sie erzählte, dass ihr Job stressig sei, aber beglückend. Sie erzählte auch, dass viele der Menschen, die in der Aderstraße angekommen sind, manchmal zwei Wochen lang nicht hoch schauen können. Dass sie durch die Flure laufen, Frauen, Männer, Alte, Junge, dass sie auf und ab laufen und wieder zurück, die Blicke auf den Boden geheftet, ohne den Mut und die Kraft, die Augen zu heben. Das zu hören war bedrückend und anrührend, und was sie dann sagte, war ein sehr menschlicher und ein kluger Satz: „Wir sollten diese Menschen jetzt ganz einfach ein bisschen verwöhnen!“

Viele Alleinreisende seien es im Moment wieder, sagt sie zum Abschluss unseres Gesprächs, denn die Lage in Syrien spitze sich weiter zu. „Aber sie sprechen nicht. Sie reden nicht darüber, wie sie gekommen sind. Und welchen Preis sie dafür bezahlt haben, einfach am Leben zu sein.“

Adlerstraße 44,
44137 Dortmund

www.adlerstrasse44.de/

Text: Ursula Maria Wartmann
Fotos: Julia Reschucha

Frühjahr 2015