Alexandra Breitenstein
Party in Istanbul

Vor fast zwanzig Jahren stellt sie ihre Bilder erstmals einer breiteren Öffentlichkeit vor. Verschiedene Formate, alle in Acryl – meistens Frauenbildnisse. Alexandra Breitenstein ist da gerade mal neunzehn, hat das Abi in der Tasche und plant, im Verlauf ihres weiteren Lebens „in jedem Fall was mit Kunst zu machen.“ Ihr Einstieg damals ist, findet sie, „schon mal gar nicht so schlecht.“ Jedenfalls ist es eine gute Adresse: Es ist die Galerie Torfhaus im Westfalenpark.
Sie wächst in Castrop-Rauxel auf, besucht in Wanne-Eickel die Waldorfschule und wählt dann anstatt der eigentlich favorisierten Kunstakademie in Düsseldorf den „vermeintlich sicheren Weg“, die Fachhochschule in Dortmund. Acht Semester sind es, der Schwerpunkt liegt auf visueller Kommunikation, und als sie damit fertig ist, darf sie sich Diplom-Designerin nennen.

Nicht einmal Wickelräume

Der Weg dorthin ist einigermaßen steinig, steiniger jedenfalls als gewöhnlich, denn während des Studiums kommt ihre Tochter zur Welt, die kleine Vega. Alexandra Breitenstein kann ein Lied davon singen: Als allein erziehende Mutter hat man auch hier und heute noch oft schlechte Karten, „und damals“, sagt sie und verdreht genervt die Augen, „gab es an der FH nicht mal Wickelräume.“ Mit einem Wort: Der Status ist nicht einfach. Ständig dieser Spagat zwischen Kita und Kursbesuch, Tagesmutter und Seminararbeit, „und irgendwie entfremdest du dich dann auch von den anderen, von denen das einige ganz toll finden mit dem Kind und die anderen ziemlich Scheiße.“
So ist es eben. Sie zuckt mit den Schultern. Es war halt ihr Weg; Authentizität und Toleranz sind seit jeher zwei ihrer Grundmaximen, und deshalb, sie grinst ein bisschen schief, „bin ich die, die ich bin, und stör’ mich nicht daran, wie andere mich haben wollen.“

Ohne Bedauern

Man zweifelt keine Sekunde daran, erst recht nicht, als sie weiter erzählt. Nach dem Studium gründet sie ein kleines, feines Modelabel: „alexotica“. Der Name ist Programm. Sie näht Kleider und Accessoires aus den Stoffen der 1970er Jahre, eine Weile läuft das gut, und als sich das ändert, stellt sie die Nähmaschine ohne Bedauern in die Ecke. „Es war“, sagt sie gelassen, „ein Abschnitt. Der ist vorbei. Und man muss den Sachen ja nicht ständig hinterher trauern.“
Arbeit bei Werbeagenturen, im Einzelhandel, als Freiberuflerin – Langeweile kommt nicht auf im Leben von Alexandra Breitenstein und der heute 14jährigen Vega, in deren Leben und Wohnung in der Albrechtstraße vor einer Weile ein junger Mann getreten ist. Cihan, schwarzer Schopf, Brille, ein ziemlich verschmitztes Lächeln. Cihan ist Mitte zwanzig, er studiert in Bochum Englisch und Geschichte auf Lehramt, und es war bei ihm wie auch bei Alexandra die berühmte Liebe auf den ersten Blick.

Party in Istanbul

Damals ging alles ganz schnell. Amors Pfeil traf 2013 auf einer Party in Istanbul – Alexandra Breitenstein war wegen eines Fotografie-Projekts dort. Heirat ein Jahr später, Cihan ist kurz davor, sein Erasmus-Studium in Graz zu beginnen. Zwei Semester lang wird zwischen Österreich und dem Ruhrgebiet gependelt. „Das waren immer zwölf Stunden, aber im Zug konnte man ja auch arbeiten oder schlafen.“
Interkulturelle Probleme gibt es nicht. Sie seien beide nicht religiös, meint Alexandra Breitenstein, „aber klar, wenn du in der Türkei keine Religion hast, hast du natürlich ein Problem.“ Sie schätzt, nachdem sie die Proteste in Istanbul und deren Folgen erlebt hat, „umso mehr die Freiheit bei uns, so zu leben, wie man es möchte.“ Authentizität und Toleranz als Lebensmaxime sind hierzulande in großzügigem Rahmen bekanntlich möglich, und es trifft sich gut, dass das auch bei ihrem Job nicht anders ist. Alexandra ist seit dem Sommer bei der Abokiste in Dortmund-Wickede angestellt. Sie ist zuständig für Kommunikation und Marketing. Und bezieht auch selbst („Ich bin seit sechzehn Jahren Vegetarierin.“) eine Abokiste mit Obst und Gemüse aus der Region. „Ich stehe total hinter dem Job, weil mir Umweltschutz und Nachhaltigkeit sehr wichtig sind.“

Federführend

Dass sie in Teilzeit arbeitet, ist ein Sahnehäubchen, denn dadurch hat sie Zeit für Kunst und Freiberuflichkeit. Ihre Kundschaft sind häufig mittelständische Firmen, die ihre Ideen und Kreativität zu schätzen wissen. In der Nordstadt ist sie unter anderem mit dem Studio „Weibsbilder“ unterwegs, im „Atelierhaus Alter Kiosk“ in der Nähe vom Borsigplatz. Sie glaubt, dass es für Frauen angenehmer ist, von einer Frau fotografiert zu werden und gründet darauf ihr Geschäftskonzept. Was nicht ausschließt, dass sie dann auch Männer fotografiert. Und sie macht noch etwas, was ihr sehr am Herzen liegt: Sie ist federführend bei „Home Stories“, einem Projekt in Zusammenarbeit mit dem „Projekt Ankommen e. V.“, das geflohenen Menschen ein Gesicht gibt. Alexandra Breitenstein sucht die Frauen und Männer aus verschiedenen Ländern zu Hause auf, spricht mit ihnen und fotografiert sie und ihre Umgebung. Es kann dauern, bis dann der Text und ein Gesamtbild entstanden sind, das die Menschen hinter ihrem formalen Status als Flüchtling zeigt: „Da geht es um Aufklärung auf einer menschlichen Basis. Das braucht Zeit und Genauigkeit“ Das Ganze ist ein Non-profit-Projekt, Alexandra Breitenstein verdient keinen Cent daran, und dennoch fühlt sie sich reich, wenn sie die Menschen wieder verlässt. „So kann ich als Künstlerin zur Verständigung beitragen, dazu, dass sich Vorurteile auflösen und Ängste beruhigen lassen.“ Die „Home Stories“ werden laufend aktualisiert; man kann sie auf der eigenen Website lesen, und wer das tut, wird, bei aller Kenntnis der Dinge durch die Medien, wieder und wieder erschüttert sein.

Lieblingsstadt

Sie lebt gerne im Unionviertel, findet die Mieten für Kunstschaffende jedoch zu teuer. Und sie findet, „dass die alten Strukturen der Kunstförderung mal ein bisschen flexibler sein dürften, damit nicht immer nur die gleichen Leute die Fördermittel bekommen.“
Spricht’s, nimmt sich einen Keks und erzählt von Kopenhagen, ihrer Lieblingsstadt, wo das offenbar besser läuft. „Da ist in jedem Viertel ein Kulturhaus für alle, du kannst jederzeit da mitmachen, egal, woher du kommst. In Dänemark gibt man sich unheimlich Mühe, das Leben für die Menschen lebenswert zu machen.“ Überhaupt ist der Norden ihr Ding. In der Nähe von Cuxhafen ist auch ihre Mutter gestrandet, in einem Dorf auf dem platten Land. Ihre Mutter, sagt sie, sei da richtig angekommen: „Die ist sogar bei den Landfrauen.“ Dann doch lieber irgendwann Kopenhagen. Aber für’s erste ist das gute alte Dortmund in der neuen Familienkonstellation auch okay.

Text: Ursula Maria Wartmann
Foto: Sabrina Richmann

November 2016