Brauereiarchitektur im Union-Viertel

Etliche der Besonderheiten, die den Charakter des Quartiers an der Rheinischen Straße bestimmen und die es heute attraktiv für die Kreative Szene machen, stehen in ursächlichem Zusammenhang mit dessen schwerindustrieller Vergangenheit. Stadtbild und Infrastruktur wurden maßgeblich geprägt durch die Eisenwerke der Union sowie Rote Erde und Zeche Tremonia. Diese industriellen Anlagen hatten (und haben teilweise noch) ihre Standorte auf der westlichen Seite des Viertels. Der innenstadtnahe östliche Bereich dagegen, und das wird häufig vergessen, bekam den Stempel von hier ansässigen Großbrauereien aufgedrückt. Dortmund war berühmt für seine Bierproduktion und das Areal zwischen Rheinischer Straße und den Gleisanlagen der Bergisch-Märkischen Eisenbahngesellschaft, deren Verlauf mit den heutigen Trassen noch weitgehend übereinstimmt, galt unumstritten als Zentrum des industriellen Brauwesens.
„Die Geschichte der Dortmunder Biere lässt sich natürlich viel weiter zurückverfolgen“, sagt Jürgen Kuckelke. Kuckelke hat 2003 eine Magisterarbeit über die Brauereiarchitektur in Dortmund geschrieben und sich wie kaum jemand sonst mit diesem Aspekt des Themas beschäftigt. „Vor der industriellen Revolution wurde in erster Linie von Bäckern oder Wirten gebraut, manchmal auch nur nebenerwerblich oder für den Eigenbedarf. Zu diesem Zweck reichte ein kleines Gebäude, gegebenenfalls sogar ein größerer Raum im Haus. Prägend für das Bild der Stadt waren diese handwerklich produzierenden Betriebe nicht. Erst mit Erfindungen wie Dampfmaschine, Kühltechnik und Hefereinzucht in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die Basis für das industrielle Brauen gelegt. Die Folge war eine differenzierte, den Aufgaben der dann möglich wie auch nötig gewordenen Gebäude untergeordnete Architektur. Im Rahmen meiner Arbeit habe ich nicht nur die Veränderungen dieser Architektur über die Zeit untersucht, sondern auch, ob es dabei Parallelen zur Schwerindustrie im allgemeinen gab. Die Hauptgebäude der großen Werke im Bereich der Kohle- und Stahlindustrie glichen im 19. Jahrhundert in ihrer historisierenden Form und aufgrund ihrer teils sehr aufwändig mit Zierrat versehenen Fassaden und Dachkonstruktionen oft Kathedralen oder Palästen. Wie man weiß, hat sich das später grundlegend geändert. Und ich habe feststellen können, dass es bei den Brauereien eine gleichlaufende Entwicklung gegeben hat.“

Auf den ersten Blick verrät das Viertel wenig von seiner braugeschichtlichen Vergangenheit. Namen
wie Germania-, Linden- oder Lehmkuhl-Brauerei sind heute allenfalls historisch interessierten Bürgern geläufig. Für jeden erkennbar überdauert hat einzig das „U“, also das 1913 errichtete, von Emil Moog entworfene ehemalige Kellerhochhaus der DUB. „Leider ist bei der Umgestaltung zur heutigen Nutzung der Charakter des Gebäudes verlorengegangen“, bedauert Kuckelke. „Die ursprüngliche Funktion ist nicht mehr wahrnehmbar. Diesbezüglich ist das innen wie außen architektonisch eine Katastrophe. Vor die Prachtschauseite, die Süd-West-Ansicht, hat man zu allem Übel noch einen Neubauklotz gesetzt und ansonsten alles abgerissen, was zur Brauerei gehörte, Abfüllanlagen, Versand, Maschinenhaus, Sattlerei, Schlosserei und so weiter. Auf ihrem Höhepunkt waren die Brauereien vollkommen autarke Welten.“

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Vom Abriss dieser Anlagen zeugen die aktuell vorhandenen Brachen. Abgesehen davon ist für den Stadtteil eine sehr gedrängte Bebauung charakteristisch. Dichter zusammen an so engen Straßen stehen in Dortmund die Wohnhäuser nirgends. Begrenzt von Wall und Emscher, Gleisanlagen und Industrie war kein Platz, das Viertel großzügig zu entwickeln. Platzprobleme ergaben sich bald auch für die Brauereien. Ein Grund dafür, dass Hochbauten wie das „U“ nötig wurden. Der andere hängt mit der Nutzung der Schwerkraft im Fertigungsprozess zusammen. Ökonomisch sinnvoll mussten Rohstoffe einmal nach oben transportiert, um anschließend in einem mehrgeschossigen Bauwerk schrittweise abwärts weiterverarbeitet zu werden, bis im kühlen Keller das fertige Produkt in Erscheinung trat.
Kuckelke hat sowohl Gebäude als Ganzes, aber auch deren funktionale und stilistische Elemente untersucht. Sein Material waren Grundrisse und Aufrisszeichnungen, die er in den Archiven der Brauereien, im Brauereimuseum oder im Westfälischen Wirtschaftsarchiv einsehen konnte. Die Perspektive eines Raumplaners war ihm dabei weniger wichtig, er hat sich also nicht mit dem Gesamteindruck des Viertels beschäftigt. Doch in der Addition der einzelnen Betriebe kann man sich durchaus ein Bild davon machen, wie es einst zwischen Wall und Eisenbahnbrücke an der Rheinischen Straße ausgesehen haben dürfte. Hier standen um 1900 sieben der acht Brauereien im Viertel, allein fünf davon zwischen oder an Sedan- (heute Brinkhoff-) und Unionstraße sowie unmittelbar westlich davon die ausgedehnte Actien-Brauerei.
Die Betreiber der Brauereien waren durchaus interessiert, repräsentative Anlagen nach dem Geschmack der jeweiligen Zeit zu errichten. Bemerkenswerter Beleg in dieser Hinsicht ist ein erhalten gebliebener Briefwechsel zwischen der Actien-Brauerei und dem Bauamt der Stadt aus dem Jahr 1914. Die DAB hatte ihr Sudhaus erweitert und im Zuge dieser Maßnahme ein sehr großes, äußerst dekoratives Buntglasfenster installieren lassen. Dieses Fenster hatte das Bauamt bei seiner Gebrauchsabnahme als nicht feuersicher abgelehnt und folglich die Betriebsgenehmigung verweigert. Daraufhin hatte die DAB einen Ausnahmeantrag stellte, in welchem es heißt, „bei der Errichtung des Sudhauses und Anbaus haben wir keine Kosten gescheut, um etwas Schönes zu schaffen und bitten deshalb nochmals ganz ergebenst, von der allzuharten Auferlegung Abstand zu nehmen; durch die feuersichere Verglasung würde die ganze Wirkung des Baus vernichtet.“ Der Bitte wurde letzten Endes entsprochen.

Nicht jedes Gebäude verfügte über derart spektakuläre Elemente, Liebe zum Detail aber ließ sich oft erkennen. Etwa bei der an der Unionstraße ansässigen Germania-Brauerei. „Das Erdgeschoss der Germania wurde mit Bruchsteinen gemauert, das ist eine alte, tradierte Gestaltungsform der Vorrenaissance. Oberhalb der Bruchsteine wurden rote Ziegel verarbeitet, wie bei den meisten Industriebauten jener Zeit. Man weiß anhand der Aufrisse auch von Rustika-Elementen, die häufig bei Villen im italienischen Stil zu finden sind. Je höher man kommt, desto eleganter wird die Architektur, bis hin zu den zierlichen Türmchen auf dem Dach. Das hätte man auch ganz anders machen können.“
Zwanzig oder dreißig Jahre später wäre das garantiert der Fall gewesen. „Im Lauf der Jahrzehnte änderte sich natürlich der Geschmack. Analog zur Architektur der Kohle- und Stahlwerke setzte sich auch bei den Brauereien stets der moderne Zeitgeist durch“, erklärt Kuckelke. „Wenn man Mitte des 19. Jahrhunderts gern auf sakrale Elemente zurückgriff, orientierte man sich nach der Jahrhundertwende am beliebt gewordenen expressionistischen oder am sachlichen Stil. Emil Moog meinte dazu, zweckmäßiges Bauen sei aus sich heraus bereits schön und fragte, warum man vor ein perfektes Gebäude einen Vorhang bauen solle, nur, um es anders aussehen zu lassen. Was man dabei nicht vergessen sollte, es gab auf den Werkgeländen nie einen fixen Zustand. In jeder Brauerei wurde permanent irgendetwas gebaut. Im laufenden Produktionsprozess, der ja nicht angehalten werden durfte.“
Es liegt in der Natur der Sache, dass im 20. Jahrhundert die hoch aufragenden, großen Betriebe das Viertel dominierten. Wer dort seinem Beruf nachging, egal, ob der Arbeitgeber Besitzer eines Stahlwerks oder einer Brauerei war, lebte meist in unmittelbarer Nähe – in einem der erwähnt dicht an dicht gebauten Häuser, welche ihrerseits die wechselhaften Zeiten oftmals besser überstanden haben als die industriellen Bauten. Zugegeben, es ist einigermaßen egal, in welcher Branche die Hausbewohner tätig waren. Dennoch sei an dieser Stelle angemerkt, dass das Heim der Angestellten der Phoenix-Brauerei im Kern des Hauses Adler- Ecke Annenstraße unter Umständen weiter besteht. Laut einem Dortmunder Adressbuch aus dem Jahr 1894 waren unter dieser Adresse zwanzig Brauer gemeldet. Und zweifelsohne hat das Haus Rheinische- Ecke Huckarder Straße mehr als zehn Jahrzehnte überdauert. Nachweislich wohnten hier zeitweise der Gründer und auch der Braumeister der ehemaligen Stern-Brauerei.

Text: Martini

November 2015