Codecentric
Beratung und Think Tank: Das rasant wachsende IT-Unternehmen CODECENTRIC hat eine Niederlassung im Viertel - Interview mit Standortleiter Martin Kiel

„Mensch vor Plan“ – das ist so ein Satz aus dem Gespräch. Der Ethos von Codecentric ist überhaupt nicht anti-irgendwas, sondern bejahend und freiheitsbetont. Offen, neugierig, dynamisch – fallen einem noch als Beschreibung ein. Dortmund ist jetzt einer von 14 nationalen und internationalen Standorten der rasant wachsenden Software- und Beratungsfirma aus Solingen. Jede Woche stellt sie neue Leute ein und ist immer auf der Suche. Codecentric hat die aus der Softwareentwicklung bekannte „agile Methode“ auch auf den Umgang mit Mitarbeitern und die Arbeitsprozesse übertragen – und es so, wie die größte Arbeitgeber-Bewertungsplattform kununu meldet, auf Platz 2 der besten deutsche Arbeitgeber der EDV- und IT-Branche gebracht. Der hauseigene Think Tank the black frame im Ladenlokal neben Heimatdesign direkt am Hohen Wall ist dabei eine Besonderheit. Hier soll Digitalisierung vor- und weitergedacht werden, nicht nur IT bezogen, sondern auch im gesellschaftlichen, künstlerischen und philosophischen Sinn.
Gespräch mit Martin Kiel, Standortleiter in Dortmund und selbst ein Tausendsassa an Themen und Tätigkeiten, über die Erwartungen des Unternehmens ans Viertel, an sich selbst, die Zusammen-hänge von Stadt und Quellcode – und warum Dortmund unbedingt mehr Flaneure braucht.

Was ist und was macht Codecentric?
Codecentric ist IT. Und interessant, weil es ein technologieorientiertes Unternehmen ist, aber die meisten der Mitarbeiter einen ganz speziellen Ethos pflegen. Nämlich Craftsmanship und, extrovertiert ist vielleicht die falsche Formulierung, aber sie können mehr erzählen als „ich programmiere“. Sie schreiben Beiträge für Fachzeitschriften und Codecentric hat einen der erfolgreichsten Technologieblogs. Codecentric ist wie es auf dem Dollarschein heißt „In Pluribus Unum“ – ein Unternehmen, viele tolle, unterschiedliche Leute, die sehr viele Dinge können. Wir wollen vorne mit dabei sein, die „Knowledgeführerschaft“ haben. Gepaart mit methodischen Ansätzen also zum Beispiel auch agile Methoden umzusetzen – und nicht nur Technologie draufzuhaben.

Sie selbst sind so etwas wie Multispezialist: Sie haben Germanistik, Philosophie, Kunstge-schichte, Archäologie, Marketing und Biologie studiert sind IT Manager und unterrichten in Berlin an der Universität der Künste. Welche Rolle spielen Tellerränder für den Erfolg?
Über den Tellerrand schauen? Ich bin eher interessiert, genauer in den Teller reinzugucken, als darüber hinaus. Viele kennen ihren eigen Teller gar nicht. Bevor ich mir immer andere Aspekte anschaue, versuche ich andere Schichten zu sehen. Es macht doch keinen Sinn immer woanders zu gucken und dabei sich selbst nicht beschreiben können. Mein Ansatz ist gesamtheitlicher wie bei einem Forensiker, der kann auch nicht sagen, „Ich mache aber nur Blut“. Da muss alles zusammenkommen.

Wie passt Dortmund neben den Standorten in Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Berlin, Stuttgart und München in das Konzept?
Wir waren noch nicht präsent im Ruhrgebiet. Der Standort hier soll eine breitete gegenseitige Befruchtung fördern, in die Stadt, zu den Leuten, ins Viertel. Wir sehen uns als Alternative zu allen möglichen traditionellen Unternehmensberatungen, weil wir etwas mitbringen. Mit den Kunden wollen wir jeweils eine eigene Methode, ihre Methode, entwickeln und das Ganze wie ein Bar-Camp verstehen, in dem klar wird, was man schon alles an Fähigkeiten hat. Gar nicht utopistisch, sondern am Ende geht es um eine strategische Kultivierung, also sich seiner strategischen Möglichkeiten bewusst zu werden.

Zum Standort Dortmund soll auch der Think Tank „the black frame“ kommen. Was passiert da?
Wir können als Team hier gut Retail und Mittelstand und haben dazu ein Format entwickelt, das in die so genannte Customer Experience geht, also Produkt und Erfahrung. Was wir bisher aber noch nicht abgedeckt hatten, war die Phase davor. IT verkauft sich auch heute noch vor allem an IT. Also jemand der IT kennt, braucht eine neue Lösung, Integration usw. Im Rahmen der Digitalisierung und Transformation wollen wir aber ein Format schaffen, das einen anderen Beratungsansatz hat. Das ist the black frame als Think Tank. Wir bieten Formate an, die einen sachte in das Thema Digitalisierung holen, nicht nach der Angstmethode, Digitalisierung oder Tod. Die uns umgebende Transformation im Ruhrgebiet und besonders hier im Viertel passt da natürlich besonders gut. Das wollen wir auf die Digitalisierung anwenden: eine physisch Transformation zum Anfassen. Wir wollen Kunden oder Interessierte mit anderen Perspektiven versorgen – nicht nur „User-zentriert“, sondern eher wie unser Unternehmen, „human-centred“. Ein gesamtheitlicher Ansatz, bei dem the black frame eine Hilfestellung bietet.

Wie profitiert Codecentric von einem Viertel im Umbruch wie hier im Unionviertel?
Das Ladenlokal gibt es natürlich auch, weil wir zum Anfassen da sein wollen. Wenn man von oben drauf guckt und die Stadt als Textur liest, dann sitzen wir hier mitten zwischen Mainstream, Umbruch und Gentrifizierung. Wie erfolgreiche Apps – die sind die auch oft Mainstream. Wir werden durch die Vielfalt und durch die Impulse hier im Viertel genährt. Das hätten wir nicht irgendwo auf der grünen Wiese. Klar, Software wird irgendwann entwickelt, aber dahinter stehen doch noch komplexere, heterogene Felder, die wie dieser Ort sind.

Und das Viertel, wie profitiert das?
Ich hoffe dass wir durch unser Modell und Inspiration für uns, auch Inspiration zurückgeben. Wir wollen Veranstaltungen machen, um Attraktivität ins Viertel zu bringen und da bilden wir hier mit vielen anderen Aktiven eine Achse. Wir sehen uns da als Kommunikator und Katalysator.

Codecentric ist ein Unternehmen der digitalen Welt, das Unionviertel sehr analog. Wo sind die Überschneidungen, was kann man im Viertel hacken?
Da geht es im besten Fall um Lernen, das Schaffen neuer Verbindungen. Im postdigitalen Kontext ist die Trennung digital und analog ohnehin nicht wichtig. Hacking ist heute eher eine Kulturtechnik, um Verbindungen zu schaffen und um das vermeintlich nicht Aufschließbare aufzuschließen. Und das passiert auch im Stadtkontext. Codecentric ist anders, ein ganz klassisches Beratungshaus kann all das gar nicht nutzen.

Wenn Stadt Code wäre, welchen Code in Dortmund oder dem Unionviertel würden Sie am liebsten ändern?
Gar nicht auf unser Geschäftsmodell bezogen: Dass mehr Stühle draußen sind. Es wird noch immer zu schnell gegangen. Wir würden gern mehr Loops einbauen, wenn Stadt Code wäre. Mehr Spielzonen. Stadtqualität stiften. Nicht nur Immer irgendwohin laufen. Wir stellen hier immer unseren Picknicktisch raus und das bringt Leute zum Lächeln, und wir kommen so vielleicht mit Leuten, neuen Mitarbeitern ins Gespräch. Wir können hier keine urbanen Geschicke drehen, aber wir sind ein kleiner Schnipsel im Code und würden der Umgebung gern unseren human-centred Blick einbauen.

Vielen Dank für das Gespräch.

www.codecentric.de

Text: Christian Caravante
Foto: Codecentric