Als er ankommt in Deutschland, ist es verdammt kalt; es ist das Jahr 2004 und Februar, und auf dem Flughafen in Düsseldorf steht der Atem wie eine weiße Wolke vor dem Mund. Wenn man aus dem tropischen Kamerun kommt, wie der damals knapp über 20jährige Hassan Yacoubou, ist das klar gewöhnungsbedürftig. Für Hassan jedenfalls, sagt er, war das „erstmal wie ein Schock.“ Doch zum Glück hat der junge Afrikaner eine dicke Jacke an. „Mein großer Bruder“, lacht der heute 35 jährige Betriebswirt, „der schon eine ganze Weile in Moers lebte, der hat mich auf die Sache vorbereitet!“
Hassan stammt wie seine sieben Geschwister aus Yaoundé, der Vater, wie auch die Mutter heute Mitte siebzig, ist dort Leiter des Verkehrsamts und macht außerdem in Export von Kaffee und Kakao. Der Familie geht es gut; die Kinder sollen Bildung mitbekommen, und so besucht Hassan Yacoubou nach dem Abitur drei Monate lang das Goethe-Institut. Von 1884 bis 1919 war Kamerun deutsche Kolonie; noch immer steht deutsche Kultur hoch im Kurs, und Hassan möchte zum Studium nach Europa, nach Deutschland am liebsten, wo sein zehn Jahre älterer Bruder schon lebt. Seine kleine Schwester und ein weiterer Bruder leben mittlerweile in Frankreich, die restlichen vier aus der Achter-Bande sind zu Hause geblieben: „Denen geht es gut in Kamerun.“
Die kleine Schwester vermisst
Zwei Jahre studiert der junge Mann an der Universität in Douala. In der Stadt leben fast zwei Millionen Menschen, fast 42 000 Studierende sind an der Universität immatrikuliert. Und dann klappt es mit dem Studienplatz in Deutschland. Die nächsten beiden Jahre studiert der Kameruner in Bochum: BWL, Schwerpunkt Controlling und Kostenmanagement. Ihm gefällt es hier, auch im „Papageienhaus“, wo er eine Studentenbude bewohnt, trotzdem hat er Heimweh. „Ich war so alleine und hab meine Leute vermisst, besonders meine kleine Schwester.“
Nach zwei Monaten legt er mit der deutschen Sprache noch einmal los, vertieft die Kenntnisse, die er sich im Goethe-Institut in Kamerun erworben hat. Danach ist vieles leichter. Fußball, Kochen, zusammen Fernsehen – im „Papageienhaus“ ist immer was los, und irgendwann ist seine Lieblingsschwester auch nicht mehr so weit weg. Sie ist nach Paris gezogen.
Wichtig ist Akzeptanz
2005 kommt Hassan Yacoubou nach Dortmund, er findet es „sehr angenehm“ hier: „Dortmund ist eine echte Willkommensstadt für mich!“ Nach einigen Umzügen wohnt er mittlerweile mit seiner Partnerin mitten im Unionviertel; sie stammt wie er aus Kamerun. Hassan hat seit geraumer Zeit den Abschluss als Betriebswirt in der Tasche. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fernuniversität in Hagen, Fachbereich Politik und Verwaltung, außerdem Projektmanager bei „African Tide“, wo er für die Themen Bildung und Kultur zuständig ist und die Zusammenarbeit mit Dr. RosaLyn Dressman außerordentlich schätzt, die den Verein 2010 ins Leben rief. „Die Begabung jedes Einzelnen kann durch seine Kultur verstärkt und erhöht werden“ hat „African Tide“ auf seine Fahnen geschrieben – was auch Hassan unbedingt am Herzen liegt. „Es ist so wichtig“, sagt er, „dass alle, die hier leben, akzeptiert und gefördert werden, egal, aus welchem Land sie kommen.“
Er fordert das auch für sich selbst ein – schon im ganz Privaten, wo seine Partnerin, die religiös ist, akzeptieren muss, „dass ich mehr Atheist“ bin. Und im gesellschaftlichen Umfeld wünscht er sich das auch. Er hat selbst erlebt, wie eine Wohnungssuche in dem Moment beendet war, als am Telefon klar wurde, dass er aus Afrika stammt. Und ist umso glücklicher, als er damals über den Verein von Dr. RolaLyn Dressman Kontakt zum VMDO bekommt, „denn hier“, sagt er, „bei diesem Dachverband, wird unsere Zukunft mit gestaltet!“
So viele Gründe
Und da Hassan Yacoubou ein Mann der Tat ist, dockt er kurzerhand bei dem Dachverband an. Hier eine Arbeitsgruppe, dort ein Gesprächskreis, er bringt sich ein, und dann kommt, was kommen muss, wenn ein Mann der Tat sich einbringt: Der Kameruner kandidiert für den Vorstand und gehört ihm seit 2014 als zweiter Vorsitzender an. Er zählt auf, was seitdem passiert ist – unter anderem … Ein Nähprojekt für Frauen wurde ins Leben gerufen. Der Workshop „Migration und Flucht“. Schulklassen besuchen das Haus der Vielfalt in der Beuthstraße, um beim VMDO Vorträge zu hören, zu diskutieren, zu lernen. „Es gibt so viele Gründe“, sagt Hassan, „warum Menschen wie ich in Deutschland sind. Politische Gründe, Kriegsverbrechen, Vergewaltigungen, aber eben auch andere, wie zum Beispiel die Lust, in einem Land wie diesem zu studieren und es näher kennen zu lernen.“
Er arbeitet auch beim Krisenmanagement für Flüchtlingsheime mit, dolmetscht, wenn nötig, spielt, wie früher in Bochum, wieder Fußball, hat eine Freizeitgruppe für junge Flüchtlinge aufgebaut. Und er ist einer von fünf Sprechern bundesweit beim DPWV. Da bleibt nicht sehr viel Zeit für Hobbies. Mit der Partnerin reist er gerne, besucht Bekannte oder die Familie in Frankreich oder Belgien. Kochen, Freundschaften pflegen, Schwimmen, Fußball im Park – und: skypen. Die Eltern, sie haben sich ein wenig ins Landesinnere zurückgezogen, nach Bafang. Dort, in dem knapp 34 000-Seelen-Städtchen, geht es geruhsamer zu als in Yaoundé, der rasant wachsenden Hauptstadt Kameruns, die es, wie Douala, auf fast zwei Millionen Menschen bringt. Über skype hält man Kontakt, tauscht Neuigkeiten aus, verliert sich sprichwörtlich nicht aus den Augen.
Alte Heimat – neue Heimat
Möglichst einmal im Jahr, zu Weihnachten oder zu wichtigen Familienfeiern, fliegt Hassan nach Kamerun. Er freut sich jedes Mal, die alte Heimat wieder zu sehen – und er freut sich auf die neue Heimat, wenn die Zeit für den Rückflug gekommen ist. Er sieht Sinn in dem, was er in Deutschland tut: „Andere Migranten zu unterstützen ist einfach sehr wichtig, und ich bin froh, dass ich die Möglichkeit habe, so eine Aufgabe zu erfüllen.“ Froh ist er auch, in Dortmund gelandet zu sein. Seine schlechten Erfahrungen sind überschaubar. „Die meisten Leute hier“, sagt er, „sind einfach nett und sehr offen. Das ist etwas ganz Besonderes, das zu erleben.“ Spricht’s und checkt mit gerunzelter Stirn sein Smartphone. Das hat gerade gebrummt. Jetzt checkt Hassan die Armbanduhr; ein Termin, er muss los. Klar, viel beschäftigt, der Mann. Aber das haben wir ja gewusst…
Text: Ursula Maria Wartmann
Foto: Sabrin Richmann
Mai 2016