Markus Veith
Fundament aus Beton

 

Er ist 27 Jahre alt, als er in Essen vorspricht, und alles auf einmal ganz anders wird. Beim Ensemble Tony Glaser rezitiert er Poes „Raben“; achtzehn Jahre ist das jetzt her. Für die Schauspielschule ist Markus Veith damals schon zu alt. Bei Tony Glaser sieht man das nicht so eng. Herzklopfen hat er, Ehrfurcht, dieser Tony Glaser ist einer, „der war besessen vom Theater, der hatte damals schon dieses Glitzern in den Augen.“ Markus Veith durchläuft drei Runden, und dann endloser Jubel, als klar ist: „Ich hab es geschafft, ich werde von Tony Glaser trainiert.“
Zwei Wochen Toscana folgen mit dem Ensemble, „eine irre intensive Zeit“. Das, sagt Markus Veith im Rückblick, „war mein Fundament aus Beton. Danach war klar, das kann für mich nur noch in diese Richtung gehen.“

Die Oma ist schuld

Zunächst einmal geht es in eine andere Richtung. Der Junge wächst in der Ritterhausstraße auf, eher schüchtern sei er gewesen, gesteht er, „aber beim Theaterspielen war ich auf einmal ziemlich extrovertiert.“ Die Oma ist schuld, sie guckt gerne Ohnesorg-Theater mit Heidi Kabel, der kleine Markus guckt mit. Und will so was auch machen. Auf einer Bühne stehen. Leute zum Lachen und Nachdenken bringen. An der Schule ist er der einzige Junge in der Theater-AG.
Doch erst einmal lernt er Gärtner. Wird nach dem Realschulabschluss bei der Stadt angestellt, arbeitet nach kleineren Umwegen („Totengräber in Lütgendortmund“) schließlich fünf Jahre im Westfalenpark. Ein Job, meint er, der gut geeignet gewesen sei, den Kopf klar zu halten. „Aber immer bei Wind und Wetter, das muss man mögen.“ Orthopädische Probleme treten auf. Mit Mitte zwanzig ist der junge Gärtner schon zur Reha in Obersdorf, und danach ist eines klar: „Das Gärtnern ist nix für die Zukunft.“

Wie soll die Zukunft aussehen?

Aber wie genau kann das gehen: Zukunft? Wie soll sie aussehen, wie soll er sie gestalten?
Es folgen Jahre, wie sie viele kennen, die künstlerisch arbeiten. Man kann nur mehrgleisig fahren, um über die Runden zu kommen. Und: Man muss sehr an sich glauben, um das Zielnicht aus den Augen zu verlieren.
Markus Veith glaubt an sich.
Parkplatzwächter. Einlasskontrollen. Messearbeit. Vertreter (Zubehör für Druckmaschinen), Tresenjobs in diversen Kneipen … Irgendwo muss die Kohle ja herkommen. Er ist schon eine ganze Weile in einer Theatergruppe in Marl unterwegs und spielt in einer Persiflage auf eine Seifenoper mit. „Was wir gemacht haben“, sagt Veith, „war aber nicht nur niedlich. Wir wollten auch was aussagen, auch mal provozieren. Ich hab da mal einen schwulen Mörder gespielt.“
Ende der 1990er spielt er unter der Leitung von Tony Glaser bei „Heilige und Heiden in Aplerbeck“ mit. Es ist Hochsommer, wie alle hat er mehrere Rollen, und er weiß noch wie heute, wie das war, als er unter dem Bärenkostüm auch noch – für die nächste Rolle – die Soutane trug: „Das war verdammt noch mal ziemlich heiß …“

Kultur Company

Ein Jahr später ist er offiziell freischaffend und geht auf’s Ganze. Er dockt für die nächsten vier Jahre bei der Kultur Company an. Der früh verstorbene Kalle – Jürgen – Wiersch habe ihm damals den Tipp gegeben und den Kontakt hergestellt, erzählt er, und überhaupt: „Ich habe ihm viel zu verdanken. Kalle hat auch den Schriftsteller in mir geweckt.“
Märchen für Kinder, Winnetou als Stück für die Kleinen – die Truppe ist bundesweit unterwegs, aber die Termine und Erträge sind überschaubar. Noch immer, sagt Markus Veith, „haben meine Eltern regelmäßig meinen Kühlschrank gefüllt, und das macht was mit einem. Auch, wenn so ein Automat die EC-Karte nicht mehr raus gibt. Ich hab damals geschrieben wie ein Blöder, um die Zeit zu nutzen. “
Es folgt eine Zeit mit dem Dinnertheater, „da haben wir in den Lokalen im Ruhrpott zwischen den Leuten gespielt.“ Da ist sein Kühlschrank plötzlich auch ohne die Eltern voll. Doch nach fast zweihundert Vorstellungen reicht Markus Veith das mit dem ganzen dinieren.
Er macht wieder Kindertheater.
Tourt mit dem „Nimmerland Theater Hannover“ durch die Republik, besucht Grundschulen mit „pfiffigen durchdachten Stücken“. Ist drei Jahre lang zwischen Flensburg und München unterwegs, „das war wunderschön, aber dann wollte ich mehr.“

Theater in Oberfranken

Mittlerweile im – gar nicht verflixten – siebten Jahr ist er beim Theatersommer Oberfranken mit drei Solostücken dabei. Zwischen Bamberg und Bayreuth, Fürth und Fichtelgebirge gibt es eine riesige Fangemeinde des Theatersommers und auch von Markus Veith. „Als Kind aus der Arbeiterklasse in Dortmund -West wirst du auf einmal von wildfremden Leuten auf der Straße angesprochen – das hat schon was!“
Der Intendant gibt ihm die Freiheit, eigene Stücke zu machen, das schätzt er sehr. „Einst um eine Mittnacht“ nach Edgar Alan Poe hat er neu eingeübt. „Ich hab denen gesagt, hey Leute, wir haben hier an jeder Ecke ein Schloss und nicht ein einziges Gruselstück , das geht gar nicht.“
Jetzt haben sie eins.
Und für den Akteur schließt sich der Kreis: Mit diesem Poe-Text hat er vor vielen Jahren bei Tony Glaser in Essen vorgesprochen.

Das muss man lieb haben

In der letzten Märzwoche geht es Richtung Oberfranken. Ab April wird geprobt. Das Ensemble auf Zeit lebt in Hollfeld („Das liegt ziemlich in der Mitte.“) in einem alten Amtsgericht, ist mit dem Bus und einer schnell aufzubauenden Bühne unterwegs und bespielt historische Kirchen und Marktplätze, Burghöfe, Galerien oder Rittersäle. Das Wandertheater und dieses Leben müsse man, meint Veith, „lieb haben, sonst hält man das nicht durch.“ Er hat dieses Leben lieb und außerdem: „Hier bei uns wäre dann nur Sommerloch …“
Und so ist es okay für ihn, auch in diesem Sommer wieder weg zu sein. Er ist Single, das ist ebenfalls okay für ihn, und Dortmund wird seine Abwesenheit eine Weile verschmerzen können. Er mag den Erfolg und den Applaus auf den Wanderbühnen, er mag Oberfranken. Er mag es aber auch, immer wieder zurückzukommen. In die Heinrichstraße, wo er mittlerweile wohnt, in „sein“ Viertel, das er nie wirklich verlassen hat: „Entweder, du inhalierst das hier auf Lunge, oder du lässt es einfach sein.“
So schön sagt’s ein bekennender Lokalpatriot …

Text: Ursula Maria Wartmann
Foto: Sabrina Richmann

März 2016