Mirko Pelzer ist 43, er hat, das fällt sofort auf, sehr klare Augen, und er ist in Eving aufgewachsen. Genau so klar und unverschnörkelt wie sein Blick ist sein Werdegang, der ihn schließlich in seine „Schaltzentrale“, das Eugen-Krautscheid-Haus in der Lange Straße, führt. Er ist glücklich damit; Angst machen ihm seine Themen nicht.
Seine Themen sind das Alter und insbesondere die damit immer öfter einhergehende Demenz; die Demenz kann, das wissen alle, jeden treffen – eine Aussicht, die nicht eben zu Begeisterungstürmen hinreißt. Der Fachmann sieht es eher gelassen. „Natürlich“, sagte er, „leben Menschen mit einer Demenz in einer anderen Welt. Aber es geht ihnen damit nicht unbedingt schlechter als uns heute. Vorausgesetzt natürlich, sie werden liebevoll betreut.“
Der examinierte Altenpfleger mit der einen oder anderen Zusatzqualifikation ist der Spross einer alteingesessenen Dortmunder Familie. Die Eltern haben eine Fleischerei in Eving, der Sohn will „eigentlich so was machen wie Industriekaufmann.“ Grundschule Eving, Anne-Frank-Gesamtschule in der Burgholzstraße: „Da hat es mir gut gefallen. Viele von uns haben auch heute noch Kontakt zueinander.“
Mit Kusshand genommen
Auch ein guter Abiturnotendurchschnitt hilft rein gar nichts: Eine Ausbildung als Industriekaufmann ist weit und breit nicht zu finden, und dann steht ja auch erstmal der Zivildienst an. In der Seniorenwohnstätte praktischerweise in Eving findet er die erste Anstellung – und mit ihr seine Themen und seine Berufung: „Die haben mich mit Kusshand genommen, weil ich im Gegensatz zu den anderen gleich in die Pflege wollte.“
Trotzdem probiert Pelzer es nach dem Zivildienst noch einmal: Industriekaufmann, die Zweite. Man will es schließlich wissen. Aber: „Wieder nix. Dann sollte das wohl so sein.“
In der Wohnstätte freut man sich heimlich, dass er auch im zweiten Anlauf scheitert. Und hat, wen wundert’s, gleich den ultimativen Vorschlag in der Tasche. „Mensch Mirko, jetzt mach doch endlich die Altenpflegeausbildung.“ Mirko Pelzer macht das. Drei Jahre lang ab 1995. Danach fängt er wieder in Eving an und steigt schnell zum Stationsleiter auf. „Wenn man“, meint er, „bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, dann kommt man schnell in so eine Rolle.“ Er mag Verantwortung, er mag diese Rolle.
Auch Menschen mit Demenz
Das weiß auch die damalige Pflegedienstleiterin der AWO, Annette Siebert, die 2003 die Idee hat, die Tagespflege weiter auszubauen und auf Mirko Pelzer setzt. Zwei Einrichtungen dieser Art gibt es damals in Dortmund (in Kürze werden es übrigens 92 sein!): zwanzig Plätze im Krautscheid-Haus, weitere zwölf in Kirchhörde. Zu wenig – viel zu wenig, der Bedarf ist riesengroß. „Und dann haben wir das zusammen gemacht“, lächelt in der Erinnerung Pelzer und sieht ziemlich glücklich dabei aus. „Sie hat die Konzepte geschrieben. Und ich habe das in die Tat umgesetzt. So eine neue Herausforderung …, das war richtig, richtig gut!“
Neben dem Beruf bildet er sich zum Pflegedienstleiter weiter. 2004 fällt der Startschuss. In den Tagespflegeeinrichtungen werden nun auch Menschen mit Demenz betreut. Mirko Pelzer pendelt zwischen den Häusern, hat feste Sprechzeiten, ist da, wenn man ihn braucht.
Kraftakt
Zwei Drittel aller alten dementen und / oder pflegebedürftigen Menschen würden zu Hause gepflegt, erklärt Pelzer. „Um diese Leute geht es uns und um die pflegenden Angehörigen. Die müssen dringend entlastet werden, und denen können wir helfen.“
Zahlen belegen, welchen Kraftakt die Verantwortlichen gestemmt haben. Mittlerweile gibt es in Dortmund vier Tagespflegeeinrichtungen. Auch Berufstätige können beruhigt ihre Lieben morgens dort von einem Fahrdienst hinbringen und abends wieder abholen lassen. Täglich, auch am Wochenende, zwischen 7.30 und 16 bzw. 19 Uhr ist das möglich; bei vorhandener Pflegestufe werden die Kosten zum großen Teil durch die Pflegekassen getragen. „Gäste“ sagt man hier respektvoll, Geborgenheit sollen sie tagsüber erleben, bei Singen und Basteln, bei Spaziergängen und Bewegungsübungen. Und nicht zuletzt gehört auch die Angehörigenarbeit zum Konzept, wo man sich austauscht über die schönen, nicht so schönen und immer bewegenden Momente mit all diesen Gästen aus dieser anderen Welt.
So lange wie möglich zu Hause
Mirko Pelzer hat ein schönes Wort parat, Fachjargon: „Erscheinungsbild der Hochaltrigkeit“. Was soviel heißt wie: Wir alle werden immer älter, und weil wir immer älter werden, werden wir mit hoher Wahrscheinlichkeit auch immer dementer. So gesehen ist der Arbeitsplatz von Pelzer und all den anderen guten Geistern so sicher wie das berühmte Amen in der Kirche. „Wir“, sagt der Fachmann, „schaffen mit unseren Einrichtungen das, was sich alle wünschen: so lange wie möglich nicht ins Heim. So lange wie möglich zu Hause bleiben.“
Um diesem Ziel näher zu kommen, mischt er auch auf höherer Ebene mit. Seit acht Jahren ist er im Vorstand der Alzheimer Gesellschaft, seit 2014 ist er nach dem frühen Tod von Heide Römer auch deren Vorsitzender. „Wir sind ungefähr zweihundert Mitglieder“, sagt er. „Und mir liegt viel daran, dass das weitergeht und ausgebaut wird.“
Irgendwie schicksalhaft
Damals, als Klassensprecher, hat er auch das eine und andere auf den Weg gebracht. So wie in der Folge sein ganzes Berufsleben hindurch. Überhaupt: die Anne-Frank-Gesamtschule. Irgendwie schicksalhaft, was sein Leben angeht. Denn hier lernt er auch Denise kennen, „das war die Schwester von meinem besten Kumpel.“ Geheiratet wird 2006, bald folgen Liam und Lewis, heute neun und sieben Jahre alt. Man wohnt in Brechten, ein Zweifamilienhaus. Das gehörte einst den Großeltern, heute gehört es den Eltern, die im Erdgeschoss ihr Domizil haben. Und irgendwann wird es Mirko und Denise gehören. Für die Jungs haben sie in den letzten Monaten den Dachboden ausgebaut, das hat Spaß gemacht, war aber auch verdammt viel Stress. Nun ist wieder Ruhe eingekehrt. Das Haus ist ein Schmuckstück mit einem riesigen Garten, wo oft die Großeltern werkeln, und wo man gerne mit allen zusammen sitzt. „Ich freue mich über jede Minute, die ich mit meiner Familie verbringen kann“, sagt Mirko Pelzer, „auch im Urlaub. Da sind wir mehr die Aktiven, machen Radtouren oder Wandern zusammen, besonders gerne in Österreich.“
Irgendwie, sinniert er, hat im Rückblick das Schicksal dann doch richtig Regie geführt. Er ist in seinem Leben heute genau am richtigen Platz. „Meine Güte“, sagt er, „ein Glück, dass das mit dem Industriekaufmann auch beim zweiten Anlauf nichts geworden ist.“
Text und Foto: Ursula Maria Wartmann
Juli 2016