Seinen 29. Geburtstag hat er hinter sich, er sieht jünger aus, das sagt man ihm öfter. Seit geraumer Zeit lebt er im Unionviertel, es gefällt ihm hier, aber meint er: „Eins stimmt auch: Je älter man wird, umso schöner empfindet man seine Heimat wieder.“
Die Heimat seiner Kindertage liegt an der Mosel. Die Wahlheimat, die für Oliver Franz seit fünf Jahren Dortmund heißt, ist ein bisschen anders: Halden statt Weinberge könnte die Kurzformel für die unübersehbaren Differenzen lauten. Doch Oliver Franz greift zur Selbsthilfe. Das „Projekt Moselriesling“ entsteht. Neun tapfere Männer und Frauen aus Dortmund („Helden des Steilhangs“) sind in seinem Heimatdorf zu festgelegten Terminen im Berg mit an Bord. Der Weißwein, der hier gewonnen wird, heißt „Vinum Tremonium“, und das mit gutem Grund. „Bekanntlich“, so der Hobbywinzer, „ist Tremonia der frühere Name von Dortmund gewesen, darauf nehmen wir mit unserem Riesling Bezug.“
Deutsche Sehnsuchtsorte
Das Moseldorf, aus dem er stammt, ist eher ein Dörfchen und heißt Enkirch. Das bekanntere Traben-Trabach, Mekka für Fans des famosen Moseltropfens, liegt nur ein paar Kilometer entfernt. Etwas weiter, nämlich je eine Autostunde, liegen in entgegen gesetzten Richtungen Trier oder Koblenz – deutsche Sehnsuchtsorte allemal, vor allem, wenn es um das Thema Wein und die dazu gehörige Seligkeit geht.
Enkirch also. Oliver Franz geht dort zur Grundschule, nimmt vier Jahre später wahlweise den Bus oder das Rad Richtung Gymnasium in Traben-Trabach. Er wohnt weiter bei den Eltern, auch als er nach dem Abitur den Zivildienst ableistet: „Das gab’s damals noch, ich bin froh, dass ich das gemacht habe.“
Er betreut Kinder zwischen zehn und fünfzehn Jahren, die tagsüber in betreuten Wohngruppen leben. Die Kinder kommen aus schwierigen sozialen Verhältnissen. „Ich war einfach für sie da“, sagt Oliver Franz ganz pragmatisch, „und habe sie genommen, wie sie waren.“
Nach dem Zivildienst studiert er. Koblenz, Betriebswirtschaft („Business Administration“); nach sechs Semestern hat er den Bachelor in der Tasche. Parallel jobbt er in einer Werbeagentur, die für Weltmarken im Bereich Beauty tätig ist, in der Produktion und als Assistenz im Projektmanagement. „Ich arbeite einfach sehr gern“, sagt er, „und trotzdem: Immer nur Werbung, das wäre nichts für mich gewesen.“
Tapetenwechsel
Nach dem Bachelor braucht er einen Tapetenwechsel. Er guckt sich um, macht sich schlau, welche Uni zu ihm und seinen Bedürfnissen passen würde. Die Wahl fällt auf Dortmund.
Von Anfang an lebt er in einer Vierer-WG an der Rheinische Straße hinter der Dorstfelder Brücke. Er kommt neugierig, wenn auch mit einer gewissen Skepsis in Dortmund an, „aber dann habe ich schnell gesehen, wie reizvoll das ist. Industrie und Natur fügen sich hier optimal zusammen. Und die Künstlerszene in Dortmund, die hat was. Jede Wette: Hier ist irgendwann das neue Berlin.“
Seit 2013 hat er den Master in der Tasche. Arbeitet als Produktmanager in einer Firma im Technologiepark und denkt immer mal wieder über eine Selbstständigkeit nach. Ein bisschen sind die Dinge allesamt in der Schwebe, auch was die Wahlheimat und Wohnsituation angeht. Da, sagt er, „bahnt sich so langsam der Wunsch nach Veränderung an: Wenn man älter wird, ist etwas mehr Platz schon schön, und ein Balkon wäre optimal.“
Leute zum Quatschen
Andererseits sind da die Netzwerke. Die Freundschaften. Die Gewohnheiten. Man weiß halt, wo es die beste Pizza gibt. Wo man auch um Mitternacht noch ein Bier kriegt. Wo kleine, feine Konzerte stattfinden, wo man am Wochenende Leute zum Quatschen findet. „Die meisten guten Freundschaften“, sagt Oliver Franz, „haben sich irgendwie über unsere WG ergeben. Und was ganz witzig ist: Die meisten Leute, die ich kenne, sind zugezogen.“
Leute trifft er auch in der Kletterhalle in der Nähe der Kokerei Hansa. Bouldern nennt sich der Klettersport auf Absprunghöhe – genau richtig für Sportsfreunde wie Oliver, der nicht schwindelfrei ist: Wer hier fällt, fällt nicht tief. Er reist auch gerne. Zwischen dem Bachelor und Master hat er in fünf Wochen die skandinavischen Länder bereist. Überhaupt hat er in Europa viel gesehen, auch in Vietnam war er schon, und seit langem träumt er von Neuseeland und Feuerland, „aber das ist momentan außerhalb der Budgetgrenze.“
„Kein Problem: Ich geb’ euch einen ab!“
Vielleicht ein Glück, denn er hat ja zu tun, der Hobbywinzer aus dem Moseldorf. Der Großvater hat seinerzeit den Eltern ein paar Weinberge vererbt, und dann hat der Enkel eines Tages so eine Idee, na ja, und so einen kleinen davon, nun ja, ob nicht er vielleicht …? Die Mutter versteht sofort, was Sache ist: „’Ist gut’, hat sie gemeint, ‚die liegen ja da. Kein Problem: Ich geb’ euch einen ab.’“
Seit dem letzten Jahr heißt es also: Nicht kleckern. Klotzen! Von Januar bis Oktober, ist „an der Rebe“ jede Menge zu tun. Schneiden, Binden, Nachschneiden. Trauben in Bottichen ernten, auf Wagen schleppen, zum Nachbarort karren, wo schon der Winzer wartet. Die Arbeiten der Gruppe aus Dortmund sind klar verteilt. Im Schnitt hat jeder vier Termine pro Jahr, „und zur Lese sind dann alle dabei.“
Ein bisschen Bürokratie noch, die amtliche Prüfnummer, und dann: Prost. Die Steillage mit ihrem mineralreichen Schiefer bringt ein leckeres Tröpfchen hervor. Das ist unverkäuflich. Kein Nachteil also, wenn man jemanden aus der Gruppe derer von Enkirch ein klein wenig näher kennt …
Text: Ursula Maria Wartmann
Foto: Sabrina Richmann
Winter 2015