Sivalingam Rasan
Tamil TV: Samstags ist "german time"

Der Chef geht in Schwarz, Sakko, weißes Oberhemd. Goldrandbrille. Er heißt Sivalingam Rasan, ist 60 Jahre alt und so beneidenswert knitterfrei, dass er nach lautstarken Zweifeln zum Beweis seinen Ausweis zückt … In der Tat: Vor sechs Jahrzehnten wurde Rasan in Sri Lanka geboren, lange war er dort Buchhalter bei einer Bank in der Hauptstadt Colombo mit ihren gut 750 000 Einwohnern. 1997 kehrte er aus politischen Gründen seinem Land den Rücken. Stationen waren Meerbusch, Wanne-Eickel, dann Dortmund. Seit Ende 2014 residiert er in einem geräumigen Ladenlokal in der Rheinischen Straße 72.

Hier ist der Sitz von Rasans Firma BCN Travels, Consulting Network. Und außerdem der Deutschland-Sitz von GTV, Global Tamil Vision. Fünf Bildschirmplätze, schwarze Lederschwinger mit Armlehnen aus Chrom, grauer Fußboden in Holzdekor, die Weltkarte an der Wand, in der Ecke der Bildschirm, wo eine Nachrichtensprecherin gerade über Syrien berichtet. Das Büro ist gediegen, die Botschaft ist klar: Hier wird die tamilische Gemeinde mit Informationen, Nachrichten und Kultur versorgt. Und zwar, Empfang über Satellit oder IP-Box vorausgesetzt, bei Bedarf rund um die Uhr. Die Miete in Dortmund wird von der Zentrale bezahlt, den TV-Job leistet Rasan ehrenamtlich. Aus Werbeeinnahmen wird die Arbeit der Kameraleute bezahlt.

2009 wurde GTV gegründet, in London war das, wo sich auch heute noch ein großes Studio befindet. Die Zentrale des Senders ist in Australien, ein weiteres Studio wurde soeben in Indien eröffnet. Neben London gibt es in Europa noch eine Depandance in Paris – und eben im Dortmunder Unionviertel, wo Sivalingam Rasan hinter seinem Schreibtisch sitzt, leichthändig am PC die Dinge dirigiert und alle paar Minuten zum Ladenfenster winkt: Da gehen sie in Scharen vorbei, seine Landsleute aus Sri Lanka und winken zum Chef in den Laden zurück.

Größte tamilische Gemeinde in Dortmund

Dortmund ist die größte tamilische Gemeinde in Deutschland, auch die Nachgeneration der Bürgerkriegsflüchtlinge weltweit ist eng mit ihrer Muttersprache und traditionellen Kultur verbunden. Der Fernsehbetrieb läuft deshalb fast ausschließlich in Tamil, egal aus welchem Teil der Welt gesendet wird. „We are a global player“, erklärt Rasan. Will heißen: Neben Deutschland sind insbesondere auch die Schweiz, Norwegen, Dänemark und Frankreich Heimat für Menschen aus Sri Lanka geworden und werden mit speziellen Beiträgen aus diesen Ländern beliefert. Ausnahme: Sonntags Punkt 21.30. Da empfängt man die Nachrichtensendung in Englisch.

German time“ ist immer samstags ab 11 Uhr. Dann gibt es Kulturprogramme, gefolgt von einem Interview um 15 Uhr. Dolmetscher „Kumar“ vom Dortmunder VMDO (Sivalingam Rasan fühlt sich im Deutschen nicht sicher genug) erläutert, dass man künftig gerne auch deutsche Interviewpartnerinnen und -partner gewinnen würde. Was in der Folge bedeutete, dass mit Untertiteln gearbeitet werden müsste, weil das „german Klientel“ sonst rein gar nichts verstünde. An der Idee wird gefeilt und herumgedacht – momentan ist es eine Art „work in progress“, und man darf gespannt sein, was daraus werden wird.

Immer wieder sonntags um 12 geht es auch ohne Untertitel. Dann werden Tanzdarbietungen gezeigt …

Rasans Job ist einigermaßen vielseitig. Er sammelt Spenden, organisiert Einnahmen über die TV-Werbung, sichtet Sendebeiträge, die ihm angeboten werden oder die er in Auftrag gegeben hat, und schickt sie über den eigenen Server ins Studio nach London. „Da wird dann“, zitiert Kumar den Landsmann, „noch mal drübergeguckt und dann ausgestrahlt.“

So bunt wie die Saris der Frauen

Was da ausgestrahlt wird, ist so bunt wie das Leben und die Saris der Frauen: Ein Bericht über das Tempelfest der Hindus in Hombruch kann das sein. Ein Beitrag über die tamilische Theatergruppe in einer Dortmunder Schule. Über die jungen Leute vom VMDO, die traditionelle Tempeltänze oder Volkstanz lernen. Oder über die community im Unionviertel allgemein – ihre Läden, Lokale. Ihre Lebensart. Wer mit professioneller Kamera-Ausrüstung durch das Viertel läuft, könnte also durchaus im Dienst von GTV – Global Tamil Vision – unterwegs sein. Ansprechen ist erlaubt, wie auch, so Rasan, es gern gesehen wird, wenn jemand mit guten Ideen ins Ladenlokal hereinschneit. Man ist für Neues offen, und Rasan sitzt täglich hinter den Fenstern an seinem PC.

GTV bietet überregional außerdem Formate, die auch in vielen deutschen Sendern hitverdächtig sind. Eine Kochsendung täglich gehört dazu, Wellness, Kosmetik, Gesundheit allgemein. Srilankische und indische Ärzte sind dem Publikum ans Herz gewachsen. Man kann beim Sender anrufen und Fragen stellen. Herzrhythmusstörung? Knieprobleme? Schuppenflechte? Die Docs wissen weiter. Natürlich kann man sich auch Musikclips wünschen. Oder sich einen dieser bunten, schillernden Bollywood-Filme ansehen, die seit ungefähr 2000 die Welt erobern. Sie heißen „In guten wie in schweren Tagen“, „My name is Khan“ oder „Bis dass das Glück uns scheidet“, sind untermalt mit Tanz- und Gesangseinlagen und machen mindestens so glücklich wie Nudeln – jedenfalls behauptet die Werbung das.

Die Religionen sind gleichberechtigt

Es werden bei GTV aber auch, erklärt Rasan, religiöse Themen verhandelt, typischerweise wird gleich drei Religionen Rechnung getragen: Tamilen gehören dem Hinduismus, dem Christentum oder dem Islam an, was, wie Dolmetscher Kumar betont, ganz ohne Reibereien funktioniere und gleichberechtigt nebeneinander stehe.

Auch bei der Berichterstattung.

Sivalingam Rasan jedenfalls mag seinen Job. Er mag es auch praktisch – auch da haben sich die Dinge gefügt. Die Wohnung, in der er mit seiner Familie lebt, ist nur ein paar Minuten von seinem Arbeitsplatz entfernt. Die Tochter wartet nach dem Abi auf einen Studienplatz, der Sohn auf eine Lehrstelle. Beide werden ihren Weg gehen, da ist sich der stolze Vater sicher. So wie irgendwann der junge Mann seinen Weg ging, von dem abschließend Kumar berichtet. Irgendwie hing er in den Seilen, der Junge. War klug und begabt und machte nichts aus sich. Jobbte bei McDonalds, vertrödelte die Tage. „Ich hab immer gesagt, mach was aus dir, geh da weg! Ich hab richtig geschimpft mit ihm!“

Irgendwann kriegte der Knabe dann endlich die Kurve. Heute hat er längst Karriere gemacht. Auch eine gute Geschichte. Global Tamil Vision hat sie erzählt. Und ausgestrahlt.

 

Text: Ursula Maria Wartmann
Foto: Daniel Sadrowski

Sommer 2015