Suse Kipp
Böses Bambi

Sie hat einen Hang zum Paradoxen. Auch eins ihrer aktuellen, großformatigen Bilder zeugt davon. „The Hunter“ ist es betitelt; es zeigt einen Rehkopf auf einem Menschenkörper, der mit entschlossener Geste ein Gewehr hält. „Das“ sagt Suse Kipp, „ist ein wütendes Bambi, das sich auflehnt gegen sein Schicksal. Oder“ – kleines Augenzwinkern – „ vielleicht auch nur gegen das Klischee …“

Sie malt auf dünnem Pappelholz, damit, erklärt sie, „kann ich an eine sehr lange Tradition andocken. Auch im Mittelalter malte man oft auf Pappelholz.“ Folgerichtig ist ihre Visitenkarte mit „Tafelbilder“ betitelt.

Wer mehr wissen will, kann im Netz gucken, da gibt es unter ihrem Namen zahlreiche Treffer: www.susekipp.de

Im Pott sozialisiert

Suse Kipp ist in Godesberg am Rhein geboren, wurde „aber schon mit vier im Pott sozialisiert“; sie mag den Humor und die Schlagfertigkeit der Menschen hier. Auf der Schule ist sie eine ganze Weile Klassenclown, lernt aber auch die andere Seite der Medaille kennen. Dann nämlich, als eine schlimme Neurodermitis bei ihr ausbricht. „Das war’s dann mit Clown. Da habe ich gelernt, was Ausgrenzung bedeuten kann.“

In dem riesigen hellen Raum in der Adlerstraße – er ist gleichermaßen Lebens- und Arbeitsbereich, und hier macht sie auch einen schönen starken Espresso – gibt es einen kurzen Abriss ihres bewegten Lebens. Abi mit 17 in Recklinghausen, erzählt sie, während im Hintergrund mit gespitzten Löffeln das böse Bambi lauscht, dann ein Jahr Arbeit in einem Kinderheim auf Norderney. Nach dem Jahr reicht es nicht nur ihr, sondern auch einer jungen Krankenschwester. Die Damen ziehen zusammen nach Köln und studieren Theaterwissenschaften und Kunst.

Eigene Inszenierungen

Suse Kipp arbeitet außerdem in diversen Bars in der Südstadt hinterm Tresen, lässt irgendwann das Studium wieder sein, als sie merkt, „dass ich mehr die Praktikerin bin.“ Bei Festivals macht sie so genannte stagehand-jobs: Licht, Technik, Künstlerbetreuung … Mehr das Praktische eben. Danach geht sie erst nach Freiburg, später nach Hildesheim. Stichwort: Regieassistenz. Nach zwei eigenen Inszenierungen in Hildesheim, unter anderem der „Zauberer von Oz“, kann sie sich auch ohne Studium Regisseurin nennen.

„Eine irre Zeit war das damals“, sagt sie versonnen und grinst ein bisschen. „Wie war noch der Spruch? ‚Wer sich erinnern kann, was er in den 80ern erlebt hat, hat sie nicht erlebt …’“

1994 geht sie nach Berlin. Hospitiert bei der letzten Inszenierung von Heiner Müller: „Arturo Ui“, geschrieben 1941 von Bertold Brecht. „Das war Wahnsinn“, sagt Suse Kipp und blickt dem Rauch ihrer Zigarette hinterher. „Relativ kurz nach der Wende dieser Blick in eine Theatertradition, die vom Westen aus gesehen eine Art blinder Fleck für mich war. Und gerade dadurch mit ganz großer Faszination behaftet …“

Inspiration für die Malerei

In der Folge ist sie mit den verschiedensten Gruppen und Theaterkollektiven unterwegs. Es gibt freie Inszenierungen mit „Mäanda“, einer Berliner Frauentheatergruppe: „Wir haben eine Menge Orte bespielt, sehr experimentell, immer mit live Musik. Ich konnte da ganz ohne Druck meine eigene Handschrift entwickeln.“

Die Brötchen verdient sie in der Regel woanders: „Ich hatte eine ziemlich typische ABM-Karriere“. In vielen Berufen war das damals an der Tagesordnung. Suse Kipp arbeitet – wie üblich mit zeitlicher Befristung – zumeist im theaterpädagogischen Bereich. Dann ist die Ära der ABM so gut wie vorbei.

Suse Kipp beginnt mit der Malerei.

Damals, sagt sie, habe es auch mit ihrer Politisierung angefangen. Hausbesetzer-Szene. Wohngemeinschaft in einer Fabriketage am Moritzplatz. Rotwein und Nächte lang Diskussionen am Küchentisch. Mit dabei: die Künstlerin. Die Anwältin. Der Historiker. Der Dachdecker …, acht Leute waren sie insgesamt, und „das alles war immer auch Inspiration für die Malerei.“

Künstlerkollektiv

Sie stellt in Paris aus. 13. Arrondissement, ein leer stehendes Verlagshaus; Kollegen aus Frankreich haben sie eingeladen. Ab 2006 findet sie in der Berlin-Factory direkt an der Spree eine neue Heimat in einem Künstlerkollektiv. Suse ist Anhängerin der „Noise“-Musikrichtung, die „laut und hart und abweisend ist und viele Störtöne hat“. Sie malt viel in schwarz in dieser Zeit, mit Farben, die „eigentlich schon kaputt“ sind. Zwei Jahre später wird es mit dem „Kita-Projekt“ in Friedrichshain wieder etwas ruhiger. In der riesigen ehemaligen DDR-Kindertagesstätte stellt sie aus, ist im Vorstand des Vereins „Förderband“ aktiv, „da waren auch viele Promis Mitglied.“

Suse Kipp zündet sich eine neue Zigarette an und betrachtet wohlgefällig das böse Bambi mitsamt seiner Knarre. Die Malerei sei, sagt sie, im Vergleich zum Theater eigentlich mehr ihre Sache, „da gibt es nicht so viele Gruppenprozesse, die können einen ganz schön schlauchen.“ Aber auf der Suche nach Geldquellen kommt sie dann doch zum Theater zurück – und in die alte Heimat: ins Ruhrgebiet.

Momentan in Saarbücken

Schon in früheren Jahren ist sie als Souffleuse in Berlin unterwegs gewesen: Volksbühne, Maxim Gorki, Theater in der Parkaue. Daran erinnert sie sich, und dann geht alles ganz schnell. Eine Agentur vermittelt sie ans Schauspielhaus Dortmund, wo sie ein paar Jahre als Souffleuse am Bühnenrand und auf der Bühne in Maske und Kostüm den Text „bewacht“. Auch die Wohnung ist ein Glücksgriff. Das sei, sagt Suse, die momentan wieder einmal Single ist, eine klasse Hausgemeinschaft hier in der Adlerstraße, in der sie sich richtig wohl fühle.

Dem Schauspielhaus Dortmund hat sie unterdessen aber erst einmal den Rücken gekehrt. Der Job frisst für sie zuviel Zeit, insbesondere in den Abendstunden, als dass er eine Dauerlösung für die quirlige Suse sein könnte.

Momentan ist sie deshalb nur zeitweise als Souffleuse unterwegs: Für zwei Monate am Staatstheater in Saarbrücken. Für das Theater Dortmund hat sie Bilder geliefert. Die werden am 30. Dezember ab 22 Uhr im Studio zu sehen sein, wenn die „Heiner Müller Factory“ ihre Pforten öffnet – als Hommage an den großen Dramatiker, dessen Todestag sich zum 20. Mal jährt. Suse Kipp wird zu diesem Zeitpunkt allerdings in Berlin sein, wo sie Silvester feiern und ihren Wein trinken und ihre Zigaretten rauchen wird.

Vielleicht wird sie dabei an Heiner Müller denken. Vielleicht auch an ihre Lieblingstante aus Bad Godesberg, die ebenfalls vor vielen Jahren starb. „Tante Trude war“, verrät Suse und zündet sich erstmal eine an, „Funkemariechen und hat geraucht wie ein Schlot. Ganz alt ist sie geworden, und als sie gestorben ist, hatten wir beim Leichenschmaus so richtig Spaß. Luftschlangen in den Lampen, Gelächter, rheinischer Frohsinn. Ein Glück, dass ich davon was mitgekriegt habe!“

 

 

Text: Ursula Maria Wartmann

Foto: Roland Baege

Winter 2015