Berge, Burgen, Wasser: Tanja Hartmann hat die schönste Lahn- und Rheinidylle gegen den Ruhrpott getauscht und mit einer Wohnung mitten im Unionviertel einen, wie sie findet, veritablen „Glückstreffer“ gelandet. My home is my castle heißt es im Englischen so schön, und genauso sieht das die 29jährige Designerin aus Lahnstein. Dort ist man stolz darauf, zum „Unesco Welterbe Oberes Mittelrheintal“ zu gehören; den Imagefilm im Netz gibt es in zahlreichen Sprachen. Auf der Freilichtbühne, die, wen wundert’s, „Loreley-Freilichtbühne“ heißt, wird dieser Tage Mozarts Zauberflöte gegeben. Junge Frauen stellen sich der Wahl zur „Rhein-Lahn-Nixe“, was man sich als eine Art Weinkönigin vorstellen darf, die die verwunschene Kleinstadt bei offiziellen Anlässen repräsentiert …
Und in Dortmund?
In Dortmund bereitet sich Tanja Hartmann auf die nächste Designmesse vor und überlegt, dass sie die Regale demnächst noch ein bisschen in die Höhe bauen muss, um all die Stoffe, Garne, Reißverschlüsse und natürlich die Endprodukte, Rucksäcke und Taschen, unterzubringen: So schön es auch ist an dem Ort, wo im lauschigen Wirtshaus an der Lahn 1774 sogar ein Johann Wolfgang von Goethe seinen Schlummertrunk nahm, Tanja Hartmann ist lieber hier. „Die Leute“, sagt sie, „sind sich schon ähnlich. Ein bisschen rau, aber herzlich, wobei: Hier sind sie vielleicht noch etwas kantiger. Ich habe einfach das Gefühl, ich kann hier ich sein.“
Träume erfüllen
TAHTI – bags & accessories nennt sie ihr Label. Schneidern hat sie von der Pike auf gelernt. In Trier nämlich, sagt sie, habe im Studium nicht nur Design in der Theorie, sondern auch Fertigungstechnik auf dem Stundenplan gestanden – Nähen gehörte dazu. Sie vertreibt die Sachen übers Internet, das funktioniert. Wenn es mal nicht ganz so gut läuft, gibt es Nebenjobs, im schlimmsten Fall sind noch die Eltern da. „Sie wollten immer, dass ich meine Träume erfülle“, sagt Tanja Hartmann. „Und sie haben versucht, mir auf dem Weg dahin alles zu ermöglichen.“
Sie wächst als Einzelkind auf, gutbürgerlich und behütet, nebenan im Haus ein befreundetes Ehepaar mit einer Tochter in ihrem Alter. „Das war ein bisschen, als wären wir Geschwister gewesen.“ Nach dem Abi zieht sie eine Autostunde weiter in den Süden, aber Trier ist irgendwie nicht ihrs. „Da kriegt man unheimlich schwer Anschluss, ich hab mich da nie zu Hause gefühlt. In Dortmund bin ich sofort angekommen. Hier auf der Straße ein Schwätzchen, da die Einladung zu einer Grillparty: Überall wirst du mit offenen Armen empfangen.“
Arbeitszimmer
Sie ist nun im vierten Jahr hier, setzt an der WAM (Medienakademie Dortmund) in der Bornstraße noch ein Diplom als Illustratorin drauf. Sechs Semester dauert das Studium an der privaten Hochschule. Währenddessen wohnt sie Hombruch. Auch nett, aber dann kam ihr Glücktreffer in der Heinrichstraße. Ein Zimmer mehr gibt es hier. Wichtig für die junge Designerin: „Wenn schon kein Arbeitsplatz, wo man morgens hin muss, dann zumindest ein Arbeitszimmer in der Wohnung.“
Meist ist sie zu Fuß unterwegs, gerne auch mit dem Rad, „aber das haben sie mir neulich geklaut. Die Räder stehen ja immer draußen.“ Es gibt auch ein betagtes Auto, das sie sich mit einer Freundin teilt. Ohne wäre schlechterdings nicht möglich. Denn Tanja Hartmann muss sich als frisch gebackene Selbständige auf Märkten und Messen bewegen, um sich mit ihren Produkten bekannt zu machen. Seit 2014 ist sie freiberuflich unterwegs, zunächst mit selbst entworfenen Postkarten die sie in großer Menge produziert und auch in Läden und übers Internet vertreibt. „Ich bewege mich so im Umkreis von bis zu 150 Kilometern“, sagt sie. „Und manchmal auch weiter, zum Beispiel bis Mainz. Das geht aber nur, weil ich dann bei meinen Eltern übernachten kann.“
„Sehr unschöne Sache“
Hotels sind bei dem vergleichsweise schmalen Budget nicht drin, deshalb fährt sie in der Regel abends nach Hause zurück. Ein kleiner Kastenwagen, findet sie und kriegt leuchtende Augen, könnte eine Lösung sein. „Den kann man ausbauen und hat ein Bett für unterwegs. Und ein Menge Zeug passt auch da rein.“ Doch noch hält der tapfere kleine Micra durch und bringt sie von A nach B. Oder nach D wie Depot in der Immermannstraße. Der letzte Design-Gipfel dort. Tanja Hartmann hat gut verkauft, ihre Karten finden reißenden Absatz. Und später deponiert sie die Einnahmen im Auto gegenüber und läuft noch einmal kurz über die Straße zurück. „Eine sehr unschöne Sache“ sei dann passiert. Auto aufgebrochen, Kasse geklaut – im Grunde genommen ein Supergau für Tanja, die im Rückblick dem Ganzen jedoch nur Positives abgewinnt. „Es war einfach kein Geld für neue Karten mehr da. Und dadurch hat sich alles gefügt.“
Fast dankbar
Sie bewahrt Haltung. Sie überlegt. Kein Geld, keine Karten. Soweit, so schlecht. Gut ist, dass sie noch jede Menge Stoffe liegen hat. Und damit legt sie dann los. Fängt mit dem Nähen an. Macht aus der Not eine Tugend. Und Taschen und Turnbeutel. Und tausend Kleinigkeiten, die man brauchen und lieb haben kann. „Ich bin fast dankbar darum“, sagt sie heute, „dass das mit dem Klauen passiert ist. Ich wäre sonst nicht da, wo ich heute bin.“
Heute ist sie noch immer eher am Anfang, aber es gibt gute Gründe für einen optimistischen Blick in die Zukunft. Sie macht, was sie erfüllt und zufrieden macht. Sie bekommt von den Leuten „ein tolles Feedback“. Und sie hat das Gefühl, dass sie an ihrem Platz ist. Manchmal macht sie bei dem einen oder anderen Projekt mit, wo ihre Fertigkeiten gefragt sind. Für die „Kulturbrigaden“ hat sie Kostüme gemacht, für eine befreundete Modedesignerin hat sie diverse Stücke angefertigt. Und bei allem lernt sie „lauter liebe Leute“ kennen, die sie spannend findet, und die ihr eigenes Leben bereichern.
Unheimlich viel Schönes
Mittlerweile, sagt sie, genieße sie ihr Leben, es gab wohl auch schon dunklere Tage, aber nun ist sie schon ziemlich lange ganz bei sich. Tanzt Lindy-Hop in der Günterstraße, („Beim Tanzen habe ich echt viel über mich gelernt.“), besucht Konzerte und Kinos, erobert die Parks und die Umgebung. Freilichtmuseum Hagen, Schwerter Wald … „Es gibt so unheimlich viel Schönes hier!“
Frisch verliebt ist sie auch. Das macht, wie man weiß, dauerhaft gute Laune, und dass der junge Mann ein Ruhri ist, macht die Sache nicht schlechter. Er wohnt, wie praktisch, im Klinikviertel, „was mich“, so Tanja Hartmann, „noch mal bestärkt, dass es richtig ist, hier zu sein.“ Ihr Traum: ein kleines Ladenlokal im Viertel. Das sollte, wenn man sich die Entwicklung so betrachtet, irgendwann zu machen sein. Dann wird da noch etwas sein, was sie bindet und hält.
Die Eltern im idyllischen Lahnstein sind mit alledem unbedingt einverstanden: „Die sind seit Ewigkeiten BVB-Fans und kommen auch oft zu den Spielen.“
Text und Foto: Ursula Maria Wartmann
August 2016