Westpassage – Babette Martini
"Spurensicherung Arbeitsstätten"

Grundlage der neuen Arbeiten von Babette Martini ist die Gewissheit einer wechselseitigen Beeinflussung von Mensch und Umwelt. Der Mensch gestaltet seinen Lebensraum, dieser prägt den Menschen. Der erstgenannte Aspekt des gegenseitigen Einwirkens ist in Industrieregionen wie dem Ruhrgebiet offensichtlich, mit der industriellen Revolution ist hier die natürliche Landschaft verschwunden. Jeder Berg, jeder Flusslauf und jede Grünfläche ist modelliert, respektive wurde künstlich angelegt.

Ihre biografischen Stationen haben die Künstlerin für die sich aus diesem Umstand ergebende Korrelation sensibilisiert. Martini, 1959 in Essen geboren, wuchs im Revier auf, zog für ihr Studium (Philosophie, Kunst) nach England und lebte seit den späten 1980er Jahren in Bath und Cardiff. In Cardiff vollzog sich ein industriebedingter Umbruch zeitlich noch vor dem Ruhrgebiet, der Charakter der dortigen Einwohner erinnerte sie freilich stark an Typen, die sie aus ihrer Heimat kannte. Bath dagegen blieb als historisches Schmuckkästchen unberührt von einer vergleichbaren Entwicklung; ein Ort, der unwidersprochen „schön“ genannt wird, künstlerisch für Babette Martini auf Dauer jedoch wenig inspirierend war.
Vor einigen Jahren wechselte Martini erneut auf den Kontinent um sich in Dortmund niederzulassen. Sie sagt: „Ich habe ja woanders gelebt. Und ich habe gemerkt, dass mich das Ruhrgebiet geprägt hat. Das ist meine Kultur. Das hat mich gemacht. Deswegen gucke ich mit ganz bestimmten Augen auf ganz bestimmte Sachen.“ Zweifellos hat sich das Ruhrgebiet während ihrer langjährigen Abwesenheit verändert. Ihre Intention war, diesen Veränderungen mit den Mitteln ihrer Kunst nachzuspüren. Die Arbeiten sind folglich ein Herantasten, das Untersuchen ihrer unmittelbaren Umgebung, eine Bestandsaufnahme.
Wer das bisherige Œvre der Künstlerin kennt, wird von der „Spurensicherung Arbeitsstätten“ überrascht sein. Babette Martini hat sich einen Namen als Keramikerin gemacht, im Rahmen der „Westpassage“ präsentiert sie Frottagen auf Papier und Gewebe. Gleichwohl sind auch ihre keramischen Objekte, Abformungen diverser Werkzeuge und menschlicher Körperteile, ähnlich motivierte Untersuchungen.

Mit Hilfe der nun hervorgebrachten Arbeiten erkundet sie das Unionviertel als urbanen Raum, der schwerindustriell geprägt wurde, sondiert, welche Spuren diese Ära hinterlassen haben könnte, welche Formen von Arbeit parallel und welche neu im Quartier entstanden sind. Sie hat Schutzkleidung der letzten Schichten auf der ‚HSP Hoesch Spundwand und Profil GmbH‘ zur weiteren Verwertung in diesem Sinn gesichert und sie hat eine Schlosserei, ein Schmuckatelier, eine Kaminofenhandlung, ein Schallplattengeschäft und ein mobiles Büro besucht, um dort per Frottage Momentaufnahmen von substantiellen Details anzufertigen. Ebenso Rückschau wie Blick in eine mögliche Zukunft stadtteilprägender Produktion, die diskretere Spuren hinterlässt.

Behutsam ist schließlich auch die Frottagetechnik, bei welcher ein Bild entsteht, indem ein dünnes, leicht formbares Material (beispielsweise Papier) über die abzunehmenden Untergründe oder Objekte gelegt wird, um dieses anschließend mit Grafit oder Kreide bei entsprechendem Druck zu bereiben. Die resultierende Darstellung der Gegenstände kann durchaus von dreidimensionaler Gestalt sein und offenbart in erster Linie deren haptische Qualität.
Mit anderen Worten: es fehlen zum Beispiel Aussagen zur Farbgebung. Auffallend ist hier eine farbliche Parallelität zwischen ihren Keramiken und den Frottagen. Es dominieren Erd- und Rottöne. Das bewusst gewählt reduzierte Spektrum kann durchaus als weiterer Beleg für die von ihr thematisierte Wechselbeziehung zwischen Mensch und Umwelt gelesen werden. Zu Martinis künstlerischen Selbstverständnis gehört es, die Umwelt auch als Ergebnis individueller körperlich sinnlicher Erfahrungen zu begreifen. Eisenoxyde verleihen dem Ton, der Kreide und dem menschlichen Blut gleichermaßen seine rötliche Farbe.

Text: Barbett Martini
Foto: Mark Ansorg