Westpassage – Daniel Sadrowski
„Status Quo“


Status quo, das ist die kurz angehaltene Zeit: Das Feststellen des bestehenden Zustands, mit dem Wissen, dass Dinge sich ändern. Daniel Sadrowski erkundet mit einer zweiteiligen, aufeinander bezogenen Arbeit das Jetzt des Unionviertels. Dabei geht es um mehr als um das Stadtquartier als umbauten Raum. Sadrowski interessieren soziale Beziehungen und ihre Orte – und fotografische Referenzräume.

Daniel Sadrowski (geb. 1971 in Nordkirchen) studierte zuerst Sozialwissenschaften und anschließend Fotografie an der FH Dortmund. Nach dem Diplom 2004 folgten Studien- und Arbeitsaufenthalte in Berlin und Seoul, von 2007 – 2010 besuchte er einen Meisterkurs bei Prof. Arno Fischer an der Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin. Seit 2010 ist er zurück in Dortmund und betreibt gemeinsam mit den Fotografen und Künstlern Gerhard Kurtz, Eisenhart Keimeyer und Donja Nasseri den „Projektraum Fotografie“ im Union Gewerbehof. Von hier aus erschließt er sich einen Stadtteil im Übergang.

Auf seinen Streifzügen durchs Quartier ist der erste Teil der Arbeit entstanden. Die Fotos zeigen in Spielen von Transparenz und Reflexion Schaufenster und den sie umgebenden Stadtraum. Der wie beiläufige Blick in den Kiezladen, den Frisörsalon nebenan, das türkische Gemüsegeschäft, die neue Galerie oder den temporären Leerstand überlagert sich mit den Spiegelungen der neuen Repräsentations- und Wohnarchitektur im Quartier, mit Straßen, Plätzen, den Nachkriegs- und Gründerzeitfassaden.
Scheinbar Nebensächliches, Zufälliges zieht die Aufmerksamkeit auf sich, dabei bleibt die Fotografie leicht, tastend, in ihrer Transparenz an der Grenze zum vermeintlich Abstrakten. Menschenleer ist diese „social landscape“, in der Innen und Außen verschwimmt. Und doch erzählt Daniel Sadrowski Gesellschaft. In der Tradition der Street Photography Lee Friedlanders lenkt er den Blick auf die sozialen Beziehungen der Transformation. Gleich- und Ungleichzeitigkeiten legen sich übereinander, hier hält der Auslöser einen „Status quo“ fest – im wahrsten Sinne Momentaufnahmen eines Quartiers in Bewegung.

Das Leben und Arbeiten im Unionviertel, der Kontakt zu seinen Akteuren und das Erforschen seiner relevanten sozialen Orte führt fast zwangsläufig zum „Haus der Vielfalt“. Der interkulturelle Mittelpunkt des Quartiers ist der Entstehungsort des zweiten Teil der Arbeit „Status Quo“. Hier lud Daniel Sadrowski die NutzerInnen zu einem offenen Porträtstudio.
Fremd-vertraut kommen einem diese Porträtreihen vor. Formal sind sie zuerst eine Referenz an den in diesem Jahr 80-jährig verstorbenen großen westafrikanischen Fotografen Malick Sidibé, der seit den 1960er Jahren in seinem Studio in Bamako die Jugend des gerade unabhängig gewordenen Mali porträtierte. Die auffällig gestreiften und gemusterten Studiohintergründe verweisen auf Sidibé, wie die offenen Blicke und selbstbewussten Posen an die von ihm Porträtierten erinnern.
Dabei geht es nicht um Fremdheit. So wie Sidibé Übergänge dokumentierte – die Befreiung, Dekolonialisierung, Globalisierung der Alltagskultur nach einer politischen Zäsur – so zeigen Daniel Sadrowskis Porträts Interkultur als Gegenwart, die Vielfalt von kulturellen Referenzen von Kleidung bis Habitus als Gegenmodell zu normativ verstandener „Integration“ – der „Status Quo“ der Zuwanderungsgesellschaft.

Es gibt bei aller formalen Referentialität ein verbindendes Element in den Arbeiten Daniel Sadrowskis: Das aufrichtige Interesse an der Lebenswirklichkeit der Nachbarn, an den Menschen im Quartier. In einem späten Interview mit dem englischen Guardian erklärte Malick Sidibé, ein guter Fotograf brauche Beobachtungsgabe, er müsse wissen, was er wolle – und er müsse ein netter Mensch sein. Auch nach dieser Definition ist Daniel Sadrowski ein guter Fotograf.

Text: Bastian Pütter
Foto: ©Daniel Sadrowski