Westpassage – Eisenhart Keimeyer
Den Betrieb einstellen

Mit seiner Kamera war Eisenhart Keimeyer auf der Spur eines für die Öffentlichkeit unzugänglichen Ortes. Er hat das Gelände der inzwischen abgewickelten Hoesch Spundwand und Profil GmbH (HSP) umrundet. In »Den Betrieb einstellen?« zeigt er Einblicke in das Areal.
Entgegen politischen und sozialen Turbulenzen, die mit der Werksschließung verbunden sind, bildet Keimeyers fotografische Erkundung eine schwebende Ruhe auf dem 45 Hektar großen Industriegelände und an dessen Grenzen ab. Annähernd menschenleer präsentieren sich die Verwaltungsgebäude, die riesenhaften Hallen, Rohrleitungen und die Wege um die Produktionsstätte im Industriegebiet Dortmunder Union. Wir sehen durch Keimeyers Blickwinkel auch die baulichen Spuren, die das stahlverarbeitende Unternemen im Lauf der Zeit in Form von Baulücken und Werkstätten im historistischen Stadtbild des Unionviertels hinterließ, als hätte das Unternehmen sein Habitat in die angrenzenden Häuserzeilen fortgesetzt.

Man ist sich nicht ganz sicher, ob nun »gerade noch« oder »seit gerade eben kein« Betrieb mehr auf dem Gelände stattfindet. Die industriellen Hinterlassenschaften lassen nur Vermutungen darüber anstellen, welche Potentiale sich einerseits in den überdimensionierten Anlagen befinden, ob diese vielleicht noch wirtschaftlich nutzbar wären und welche ökologischen Belastungen sich andererseits über die lange Zeit auf dem Gelände angesammelt haben.

Eine »BauWatch«-Überwachungskamera dokumentiert die vorerst letzten Bewegungen des Betriebs und markiert einen privaten Hoheitsanspruch an das Areal. Über das vergangene Arbeitsleben könnten lediglich die mittlerweile entlassenen, umverteilten, umgeschulten und teilweise ausbezahlten Arbeiter berichten. Keimeyer sucht durch die Kamera immer wieder nach einem möglichen Weg ins unbekannte und schwer zugängliche Terrain – in dem Gräser, Bäume und Gestrüpp mehr und mehr den Raum zurückerobern.

Hintergrund

Mit der Schließung des HSP-Werks im Dezember 2015 wurde der letzte noch aktive Betriebsteil der ehemaligen Union Hüttenwerke in Dortmund eingestellt, die das Unionviertel über 160 Jahre hinweg maßgeblich prägten.¹ Seit 1902 wurden hier unter wechselnden Besitzverhältnissen Stahlspundwände hergestellt. Diese werden unter anderem für die Befestigung von Erdreich im Kanalbau, in Hafenanlagen und für die Rahmung von Baugruben eingesetzt. Seit 1994 hieß das Unternehmen Hoesch Spundwand und Profil GmbH und beschäftigte zuletzt knapp 350 Mitarbeiter. Anfang 2015 waren es noch 500.
Im Dezember 2015 endete die Ära HSP durch die Entscheidung des Mutterkonzerns Salzgitter AG. Der globale Markt machte das Unternehmen unrentabel.Für das Gelände, bis Mai 2016 noch im Besitz von ThyssenKrupp Real Estate, wollte man bis zuletzt keinen Investor für den Weiterbetrieb der HSP-Anlagen finden. Die Arbeiter protestierten vielfach in den letzten Monaten und hofften — vergeblich — auf den Erhalt ihrer langjährigen Arbeitsplätze.²

Wenige Tage vor Erscheinen dieses Katalogs ging die Fläche von Thyssen Krupp Real Estate an die Essener Immobiliengruppe Thelen über, die insgesamt über 1.000 Hektar Fläche von Thyssen Krupp im Ruhrgebiet erworben hat. Was die professionellen Flächenentwickler aus Essen damit vorhaben, ist noch nicht publik.

Denkanstöße über eine Einbindung der lokalen Institutionen und der heterogenen Bevölkerung des Unionviertels in die Entwicklung der Fläche lieferte unter Anderem eine im Union Gewerbehof abgehaltene Tagung im Rahmen des EU-Projekts SEISMIC (Social Engement in Science, Mutual Learning in Cities). Ein Bürgercafé zu dem Thema ist nun von der Stadt Dortmund und den Urbanisten für den Herbst 2016 geplant, um Fragen und Anliegen der verschiedenen Akteure zu diskutieren und zu bündeln.

Was hier in den nächsten Monaten und Jahren mit dem 45 Hektar großen Areal geschieht, ist auch über den einzelnen Fall hinaus von großer Bedeutung, nicht nur im Kontext des viel beschworenen Strukturwandels des Ruhrgebiets, sondern auch in der Frage nach der Möglichkeit eines demokratischen, lokalen oder regionalen Zugriffs auf zunehmend global verhandelte Wirtschaftsprozesse.

»Den Betrieb einstellen?« (2015 — 2016) ist die vierte Arbeit Keimeyers, in der er sich mit den Veränderungen des Unionviertels befasst. Neben einem theoretischen Text , in dem er die Realisierung eines Atelierhauses beschreibt, erstellte Keimeyer zwei weitere fotografische Arbeiten zu dem Quartier, »Unionviertel« (2015), die für das Pixelprojekt Ruhrgebiet 2016 ausgewählt wurde und »Übermalungen Unionviertel« (2016).

Text: Patrick Ritter