Portrait einer Verwandlung
„Gebt der Stadt ein bißchen ab von eurer Liebe zur Landschaft“ Franz Hessel, 1929
Den Bildern sei mit Texten und Worten nicht beizukommen, alles sei längst bezeichnet, schrieb Kurator Christoph Schaden über die Arbeiten von Gerhard Kurtz. Müßig also, überflüssig, redundant, dieser Versuch, sich sprachlich an Bilder annähern zu wollen, die sich auf den ersten Blick Worten und Deskriptionen zu versperren scheinen? Was kann die Sprache leisten, wenn Bilder die eigene poetische Kraft, die eigene Erzählung ins Zentrum rücken, so dass man sagen will: lass es, mach dir nicht die Mühe, es wurde bereits alles gesagt? Möglicherweise ist Sprache dann nicht mehr als ein Additum, eine Ergänzung, eine inhaltliche Ausführung des Themas, eine Erklärung zur Technik.
Das Thema.
Aufgewachsen auf dem Land, in der unfügsamen Natur Polens, beherrscht die künstlerische Auseinandersetzung mit Natur und Landschaft seit jeher das Werk des 1971 in Zgierz geborenen Fotografen Gerhard Kurtz. Zentrales Motiv der Arbeiten ist der Baum – ein Sujet, auf dem genau genommen unsere gesamte Kultur fußt: Bäume sind das erste, das wir – noch wacklig auf Kindesbeinen der Realität begegnend – zu zeichnen beginnen. Holz ist die Grundlage unserer Heimat, unserer Städte. Es ist die Grundlage unserer Technologie, Papier die Grundlage unserer Kultur. Unter Bäumen ruhen wir, die Natur ist uns Sinnbild für das Wahre, Schöne, Einfache, das unserer komplexen Gegenwart abhanden gekommen ist.
Doch Kurtzs Arbeiten gehen weit über die heutzutage wiedererstarkende neu-romantisierende Sehnsucht nach Simplizität in der Natur, wie sie Henry David Thoreau in „Walden oder Leben in den Wäldern“ proklamiert, hinaus. Durch die Fragestellung nach dem Baum als zivilisiertes, kultiviertes Lebewesen im gegenwärtigen Verhältnis zum urbanen Lebensraum – einer Verwandlung von existenzieller Grundlage zu Designobjekt im Nahranderholungsgebiet – wirft Kurtz Fragen auf, die sich mit Materialität, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft menschlichen und sozialen Zusammenlebens beschäftigen.
Je nach Charakter des Betrachters spiegeln sich hier die Gemütszustände des Städters wieder: Von hoffnungslos verlorenem Gestrauch, eingesperrt, zurückgedrängt, verkastet, in Klötzchen gepackt oder sorgsam hinter Fensterscheiben drapiert, über einzelne Zeugen inmitten Betonwüsten, bis zu verklärter Lebensfreude im sommerlichen Park – genau dieses sich Wiederentdecken-Können, diese Einladung, mit Natur und Stadt in Kontakt zu treten, machen Kurtzs Bilder zur idealen Folie für Kunst.
Vorlagen aus der Kunstgeschichte, deren Beschäftigung mit dem Baum als künstlerische Darstellungsform zwischen Präromantik und Postmoderne ihren Höhepunkt erreicht , sind zahlreich vorhanden. Bildkompositorisch betrachtet, sind Kurtzs Reminiszenzen an die großen Landschaftsfotografen des 20.Jahrhunderts unumstößlich zu erkennen: Eugène Atget oder Robert Adams dienen ihm als Inspiration. Auch in der Malerei findet Kurtz seine Meister, sei es nun in den Gemälden Caspar David Friedrichs oder in den Bildkompositionen der Mitglieder der Brueghel-Familie : In diesen Dokumenten dörflichen, urbanen Alltags, religiöser Feste oder Szenen rahmen jeweils Bäume das zentrale Geschehen. Während jedoch hier stets Menschen den Mittelpunkt der Erzählung bilden, verhalten die Bilder Kurtzs sich hier als Kinder ihrer Zeit und verkehren die Bildaussage bis zur Absurdität: Statt Menschen setzt Kurtz einen voll genutzten Parkplatz vor einem Shoppingtempel ins Zentrum des Geschehens.
Die Technik.
Detektivisch, detailversessen und mit der entdeckerischen Langsamkeit eines Flaneurs nähert sich Kurtz in seinen durchdachten Bildkompositionen dem Genius Loci des Unionviertels. Über ein halbes Jahr hat er dazu immer wieder gleiche Orte besucht, dabei ein neues, vielfältigeres Gesicht des Viertels entdeckt und dieses im Gehen, die Kamera dabei in der Hand haltend, portraitiert: Nebensächlichkeiten werden zu Protagonisten, eigentliche Schauplätze verblüffen durch ihre Leere und Bedeutungslosigkeit.
Dabei bedient sich Kurtz einer Vielfalt fotografischer Mittel und macht diese gleichsam sichtbar für den Betrachter. Perspektivwechsel zeigen das Motiv mehrfach aus unterschiedlichen Blickwinkeln und entwickeln ungewöhnliche Zugänge zu einem uns alltäglich begegnenden Gegenstand. Minimale technische Veränderungen – wie das Spiel mit Licht und Schatten, Schärfe und Unschärfe – portraitieren das Sujet in Ausschnitten und setzen es in Beziehung zu einem größeren Ganzen. Das Fotografieren der selben Orte zu verschiedenen Zeiten spricht von Zuständen der Verwandlung, der Geduld und des Überdauerns.
Portrait einer Verwandlung.
Es ist genau diese Geduld, mit dem Ort und seinen noch so marginalen, winzigen Veränderungen, Wandlungen, die aus seinen Bildern spricht. Eine Geduld, die uns, die stressbetäubten, vom Lärm erschlagenden Großstädter, abrupt zügelt, dabei die Gesetze der Zeit außer Kraft setzt. Es entsteht: Stille. Und ein weiter, entgrenzter Raum, den wir in der Enge von Betonwüsten und Blechkarossen niemals erwartet hätten.
Betreten wir nun diese neuen, diesen anderen Raum, dessen Parameter uns gleichsam fremd und bekannt sind, begegnen wir dem Geist des Ortes in Reinform: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden in der alles überdauernden Form der Natur spürbar.
Durch Zufälligkeiten, Begegnungen entstehen Geschichten daraus, die situativ einen winzigen Moment des Ortes aufgreifen. Die Aufgabe des Fotografen ist dabei eine unaufhaltsame, nicht endende – nicht enden wollende: das Porträtieren von Verwandlung.
1. vgl. Demandt, Alexander: Über allen Wipfeln. Der Baum in der Kulturgeschichte, Böhlau, Weimar 2002 und Liselotte Stauch, Walter Föhl: Baum, Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. II (1938)
2. vgl. u a. Jan Brueghel, der Jüngere: Erschaffung Adams im Paradies, Öl auf Kupfer, 1678 oder Pieter Brueghel, der Jüngere: Flämischer Markt, 16.Jahrhundert