Westpassage – Stephanie Brysch
Stadt-Garten

Das Unionviertel hat eine neue Grünanlage bekommen, einen künstlichen, kalender- und wetterunabhängigen Zimmergarten auf Zeit. Konzipiert von Stephanie Brysch, unter Mitwirkung von Bewohnerinnen und Bewohnern des Quartiers, verweist er auch auf im Viertel an mehreren Stellen und nach diversen Konzepten angelegte Gemeinschaftsgärten.

Einen dichter besiedelten Stadtteil wird man in Dortmund kaum finden. Grünflächen sind folglich im Unionviertel ein rares Gut. Vielleicht ist hier der Grund dafür zu finden, dass sich gemeinsam gepflegte Baumscheiben oder Flächen, die nach dem Prinzip des Urban Gardening bewirtschaftet werden, einer offensichtlich großen Beliebtheit erfreuen. Wer mit offenen Augen durch die Straßen streift, nimmt sie mittlerweile wie selbstverständlich wahr.

Stephanie Brysch greift Aspekte dieser Gemeinschaftsgärten auf und reflektiert mit dem „Stadt-Garten“ gleichzeitig die zur Anwendung gebrachte Papierkunst-Technik Origami. In Workshops mit Kindergartenkindern aus dem „Forum Josef Bartoldus“ und einer im „Haus der Vielfalt“ organisierten Frauengruppe wurden die Blumen kooperativ Stück für Stück gefaltet, wobei das pädagogische Potential der ursprünglich im Asiatischen beheimateten Technik zum Tragen kam. Jedenfalls war es durchaus beabsichtigt, Leute zum Mitmachen zu bewegen, die mit Kunst in ihrem Alltag ansonsten kaum in Berührung kommen, um sie vielleicht sogar animieren zu können, später einen eigenen Papiergarten anzulegen.

Brysch ist optimistisch, dass ihr Garten auf diese Weise an anderen Orten weiter wächst, dass also einerseits dem Projekt das grundlegende Prinzip organischen Wachstums innewohnt, ebenso, wie auf einer weiteren Ebene die Vergänglichkeit des Materials Papier mit dem Werden und Vergehen eines natürlichen Gartens korrespondiert.

In direktem Bezug auf die lebendige Natur in „echten“ Grünanlagen – einzelne Pflanzenarten wie Tulpen, Sonnenblumen und Kakteen sind in dieser Arbeit deutlich zu erkennen – entsteht freilich ein Verfremdungseffekt schon allein durch das serielle Aufkommen identischer Elemente in hoher Stückzahl. Dieser Effekt und weitere bewusst inszenierte Irritationen im Arrangement sind es, die hunderte gebastelter Einzelteile zum künstlerischen Objekt werden lassen. Für deren Charakter nutzt Brysch im Laufe des Aufbaus sich ergebende Zufälle. So bilden schmalformatige Kartons, die sie unerwartet zur Verfügung gestellt bekam, hochkantgereiht jetzt den Sockel ihrer Installation – und wer mag kann in diesem eine Referenz an die noch vor kurzem im Viertel produzierten Spundwände sehen. Kann, muss aber nicht. Der „Stadt-Garten“ lässt ausreichend Interpretationsspielraum.

Zum Beispiel auch bei der Antwort auf die Frage, ob die Pflanzen hier eine öde, vielleicht postindustrielle oder abstrahiert urbane Fläche erobern, oder ob sie von einer solchen zurückgedrängt werden. Mit derartigen Doppeldeutigkeiten spielt die 1976 in Wipperfürth geborene Künstlerin, die an der Kunstakademie Münster in der Bildhauerklasse bei Paul Isenrath und Guillaume Bijl studiert hat, gern. Ebenso gern, wie sie im Rahmen ihrer Arbeiten nicht selten auf eine vierstellige Zahl einzelner Elemente zurückgreift. Ihre Installation „Aquarium“ (2011) zeigt unzählige aus weißem Papier gefalteten Schmetterlinge am Boden eines Glaskastens und es ist nicht zweifelsfrei zu erkennen, ob sie tot sind oder sich zur Nahrungsaufnahme dort versammelt haben. Ihre Arbeit „Basislager“ aus dem gleichen Jahr bietet ebenfalls keine eindeutigen Hinweise, ob die Origami-Zelte von Flüchtlingen, Forschern oder Liebespaaren bevölkert werden.

Die eingebauten Irritationen, Brüche und Mehrdeutigkeiten verhindern, dass die Arbeiten von Stephanie Brysch, trotz aller spielerischer Elemente, als reine Spielerei betrachtet werden können. Sie lassen selbst das vordergründige Staunen über die handwerkliche Leistung, die Fleißarbeit, akribisch unzählige Origami-Objekte zu falten, über kurz oder lang in den Hintergrund treten.