Wie aus einem Variete ein Seniorenzentrum wurde
Die wechselvolle Geschichte der Rheinische Straße 44

Wohl an keiner Stelle der Rheinischen Straße zeigt sich ihre wechselhafte Geschichte so deutlich wie dort, wo jetzt gegenüber des West Centers ein Seniorenzentrum mit verschiedenen Dienstleistern im Erdgeschoss entsteht.

Vor mehr als 100 Jahren, als die Rheinische Straße noch eine Flaniermeile war, eröffnete dort die „Walhalla“, ein 1902 in Westfalen einzigartiges Variete, ihre Pforten. Sie wurde 1924/25 zum Filmtheater »Tivoli-Palast« umgerüstet. Der neue Eigentümer Heinrich Assauer betrieb bereits das Orpheum-Theater an der Dorstfelder Brücke, welches eines der bestbesuchten Kinos in Dortmund war. Später wurde das Kino von den Eheleuten Dehrendorf unter dem Namen „Atrium“ übernommen, zweimal ausgebombt und zweimal wieder aufgebaut. Die 1100 Sitzplätze wurden unter Weglassung des Balkons auf 780 Plätze reduziert. Mit dem Kinosterben durch die Konkurrenz des Fernsehens schloss das Atrium in den 1960-er Jahren.

Zunächst zog einer der neuen Supermärkte, der wiederum manche Tante Emma Läden im Viertel verdrängte, in das Gebäude neben dem Schuhhaus Marcus ein. Dieses Schuhgeschäft war eines der zahlreichen Fachgeschäfte entlang der Rheinischen Straße, die diese neben der Kaiser- und Münsterstraße zu einer beliebten und lebendigen Einkaufsstraße machten.
Für uns Kinder war Marcus so etwas wie ein Abenteuerspielplatz. Eine Holzrutsche führte vom Erdgeschoss in die Kinderabteilung im Keller, wo das absolute Highlight des Ladens stand: ein „Pedoskop“, das bis 1960 ein Muss für ein renommiertes Schuhgeschäft war. In diesem Schuh-Röntgen-Apparat überprüfte man, wie der Fuß im Schuh saß. So wurde der Schuhkauf für uns Kinder durch die sichtbar gemachten Knochen zu einem echten Science Fiction Abenteuer. Die drei Sichtfenster erlaubten es uns, der Mutter und dem Schuhverkäufer, gleichzeitig einen Blick auf den Schuh samt den durchleuchteten Füßen zu werfen. Da strahlten natürlich die Betrachter.

Aber auch die großen Zeiten des Einzelhandels entlang der Rheinischen Straße waren bald vorbei, zu mächtig war die Konkurrenz der nahen City geworden. Nach dem Abbruch des Gebäudekomplexes wurde der triste Platz seit den 1990-er Jahren als Parkplatz genutzt.

Nun tut sich eine neue Nutzung auf, von der man nur hoffen kann, dass sie dem Viertel einen weiteren Aufschwung bringen wird.