Willi Wagner
Mit Garvin bei der Jagd ein Team

 

Von den Wänden grüßt nicht das Murmeltier. Sondern die Riesenantilope Eland mit ihrem mächtigen Geweih. Oder die kleinere Schwarzfersenantilope namens Impala. Im Hundekorb lässt Rauhaardackel Garvin im Schlaf ein Knurren hören und zuckt mit den Pfoten. Willi Wagner ist stolz auf den kleinen Kerl: „Der hat gerade seine Schweißprüfung gemacht. Der findet die Fährten jetzt richtig gut.“

Willi Wagner, der eigentlich Wilhelm heißt, und Garvin sind bei der Jagd ein Team. Garvin ist noch klein – nicht mal zwei Jahre alt. Willi Wagner ist schon groß, über fünfzig und ein Dortmunder Jung, wie er im Buch steht. Er liebt seine Stadt und die Menschen im Ruhrgebiet. Er ist nie länger weg gewesen, nur auf Reisen, und einmal, Ende der 1990er, war er ein halbes Jahr in Namibia. Da hat er Freunde, und da fährt er alle zwei Jahre hin.

Garvin muss dann in eine Tierpension.

Afrika, das ist nichts für ihn.

Heute noch kein Mehl im Haus

Im Unionviertel kennt man Willi Wagner. Er hat etliche Immobilien im Westen der Stadt, die wollen verwaltet sein, und beim Eigentümer-Stammtisch ist er auch oft dabei. Seine Wiege stand vor exakt 53 Jahren an der Ecke Adlerstraße und Richardstraße. Das KOBI gibt es damals noch nicht, aber die Bäckerei der Eltern, die wiederum längst wieder verschwunden ist. Der Bruder, heute Arzt, will nicht in die Fußstapfen des Vaters treten, also soll Willi ran. Er gibt sein Bestes. Legt direkt nach der Realschule mit der Bäckerlehre los, und – die Sache geht schief. „Mehlstauballergie“, sagt Willi Wagner lakonisch. „Damit war die Sache erledigt. Ich war ewig krank. Hab Asthma gekriegt. Wir haben heute noch kein Mehl im Haus!“

Garvin ist wach geworden, wackelt mit dem Schwanz und will Streicheleinheiten. Vor kurzem hat er eine weitere Hundeprüfung abgelegt, „damit der in der Stadt nicht so ein Rabauke ist.“

Willi Wagner seufzt und krault dem Rabauken die weichen Öhrchen.

Abwechslungsreiche Biografie

Die Biografie ist unbedingt abwechslungsreich. „Mein Bruder sagt immer, so lange wie du an den ganzen Schulen warst, das kriegen andere in ihrem Arbeitsleben nicht hin …“

Nach dem Abbruch der Bäckerlehre bleibt Willi zumindest der Branche treu. Er lernt Groß- und Außenhandelskaufmann und spezialisiert sich auf den Einkauf für Bäckereien und Konditoreien. Das macht er eine Weile, will dann mehr und geht die nächsten dreieinhalb Jahre aufs Abendgymnasium, „das war damals noch in Brünninghausen.“

Danach – natürlich wohnt er weiter in Dortmund – studiert er BWL in Essen. Ist „schon verdammt alt, so 36, 37“, als er den Titel in der Tasche hat. Jetzt ist er Diplom-Kaufmann. Und bestens vorbereitet für den zeitaufwändigen Verwalter-Job. „Früher war so was eine lockere Veranstaltung. Heute ist das anders. Aber es ist okay, wie es ist. Wenn ich so sehe, was meine Studienkollegen von früher so machen … Den ganzen Tag im Anzug in einer Bank, nee, das wäre nichts für mich.“

„Da muss ich dann immer schießen“

Irgendwann war er auch einmal bei der Bundeswehr. Auf die Art war er dann doch schon mal länger weg. Einmal vier Wochen in den USA. Dann, etwas näher, einige Monate in Ahlen bei Hamm, später im bayerischen Hammelburg und in Schwarzenborn. Das liegt in Nordhessen. „Damals war ich 19“, sagt Willi Wagner, „ und hatte die Wahnsinnsidee, als Reserveoffizier zu unterschreiben.“ Jugendlicher Leichtsinn. Seitdem ist er einmal im Jahr auf dem Truppenübungsplatz, „da muss ich dann immer schießen.“

Gottlob liegt der Platz nahe Paderborn, und mit 55 ist er aus dem Schneider. Länger wird der Reservisten-Job nicht gehen, und wirklich oft, na ja, ist so ein Einsatz ja nun auch nicht. Und das Schießen ist ohnehin seine Leidenschaft. Sein Großvater sei Jäger gewesen, erzählt er, „der hat mich angesteckt.“ Mit sechzehn hat Willi schon den Jagdschein in der Tasche. Das erste Tier erlegt er im Rahmer Wald. „Da habe ich einen Fasan vom Himmel geholt. Heute sind die so selten, das würde man sich drei Mal überlegen. Damals ging das noch.“

Mit Fußball nichts am Hut

Mit seiner Lebensgefährtin Michaela lebt er mittlerweile in Berghofen. Häusertausch. „Meine Mutter wohnt jetzt im Kreuzviertel, und wir sind in ihr Haus Richtung Schwerte gezogen. So ist es praktischer!“ Ein Vierteljahrhundert sind er und Michaela schon zusammen; Kinder haben sie nicht. „Als es möglich war“, sagte Willi Wagner, „ging es nicht. Und als gegangen wäre, war es zu spät.“

Der Verwalter und die Versicherungskauffrau haben einen großen Freundeskreis, sie gehen gern essen und sind viel auf Reisen („Gerade waren wir in Dubai und Mauritius.“) Auch mit der Familie des Bruders ist der Kontakt rege. Man mag sich und versteht sich, nur mit dem Fußball ist das innerfamiliär so eine Sache. „Da hab ich gar nichts mit am Hut“, gesteht Willi Wagner. „Aber das wird toleriert …“

Eigentlich, räsoniert er, während Garvin bei den Streicheleinheiten seines Herrchens verzückt die Augen schließt, habe er ganz früher Forstwirtschaft studieren wollen. Doch das Abi, immerhin mit 2,2 absolviert, reichte nicht, er hätte ein Einser-Abi gebraucht. „Und mit über dreißig noch ewig warten, dass das doch noch klappt, zum Beispiel in Göttingen, das war es dann doch nicht.“

So verwaltet er den Immobilien-Bestand, dessen Grundstock einst der Uropa legte. „Der hat“, sagt Willi Wagner, „als Bäcker richtig viel Geld mit den Arbeitern aus Italien gemacht. Die haben damals den Hafen gebaut und mochten sein Brot und den Kuchen! Und so hat er nach und nach ein paar Häuser zusammen gekauft.“

Jagdrevier in Hessen

In der Nähe von Schwarzenborn, wo Uropas Urenkel eine Weile stationiert war, hat er vor Jahren eine Jagd gepachtet: im nordhessischen Frielendorf. Weite Wälder, Hochsitze, jede Menge Rotwild. Da nimmt er dann auch mal seinen Freund aus Namibia mit, der tief im outback eine Rinderzucht betreibt, der eigentlich aus Warburg stammt und einmal im Jahr nach Dortmund kommt. „Jagd und Hund“ heißt die Messe vor Ort: Sie ist europaweit die größte ihrer Art.

Bei der Gelegenheit spazieren die Herren auch mal durchs Unionviertel. „Das“, sagt Willi Wagner, „hat total gewonnen und ist ja mittlerweile richtig angesagt.“ Er hebt die Fassadengestaltung besonders hervor – und die Zusammenarbeit mit dem Quartiersbüro: „Das ist einfach nur super, wie das funktioniert!“

Er liebt seine Heimat und besonders das Viertel, wo er aufgewachsen ist. Nur einmal wäre er fast schwach geworden, kurz vor dem Ende des Studiums. Da war er bei den Freunden in Namibia und war total von dem Land fasziniert. Aber es sei dort unten nicht immer sicher, sagt er bedauernd, und es werde nach seinem Eindruck auch nicht besser. „Und wer will schon jede Nacht mit der Waffe neben dem Bett einschlafen?“ Er wollte das nicht. Und ist dann ganz einfach geblieben – da, wo vor 53 Jahren seine Wiege stand …

 

 

Text: Ursula Maria Wartmann

Foto: Julia Reschucha

 

Dezember 2015