Jeyakumaran Kumarasamy
"Wir haben das konsequent durchgezogen!"

Kumar ist 54 und Übersetzer und Dolmetscher für Tamil; 1986 beeidigt und eingetragen beim OLG Hamm. So gehörte sich das damals, auch für einen Tamilen in Deutschland, und das, sagt Kumar, findet er unbedingt in Ordnung so. „Zu Hause“, erklärt er in bestem Dortmund-Deutsch, „zu Hause in Sri Lanka hatten wir viel Chaos, woll? Das mit der Bürokratie ist manchmal vielleicht ein bisschen viel. Aber egal, unterm Strich ist das gut so!“

Kumar heißt eigentlich Jeyakumaran Kumarasamy. Er sitzt in seinem Büro im Haus der Vielfalt in der Beuthstraße und grinst ein bisschen schief und teilt mit dem Damen-Besuch sein Herrschaftswissen. „Kumar“, sagt er und reicht mit einer großzügigen Handbewegung seine Visitenkarte rüber, „ist in beiden Namen versteckt. Und Kumar“, sein Lächeln wird milde, „ist hier in Deutschland auch besser für euch …“

Kumar also. Der seit dem 5. Mai 1981 in Deutschland ist – ein Zufall irgendwie, aber davon später. Kumar – so meldet er sich auch am Telefon. Er hat schnell verstanden, dass sein Name in einem Land ein Zungenbrecher ist, wo die Leute gerne mal Annakatharina Schulte-Stuckenbrock oder Horst-Hermann Schmitz-Wollenschläger heißen.

„Den 1. Mai damals“, sagt Kumar, „den werde ich nie vergessen. Wir sind in der DDR gelandet und von Ostberlin aus in den Westen der Stadt gefahren. Von da ging es dann ziemlich direkt nach Unna!“

Behütete Kindheit auf einer Teeplantage

Jeyakumaran Kumarasamy wuchs auf einer Teeplantage auf; eine behütete Kindheit im Hochland Sri Lankas, wo indische Arbeiter schufteten und seine Eltern gehobene Stellungen innehatten: Buchhalter war der Vater, die Mutter, die früh starb, arbeitete als Lehrerin. Bei einem Besuch im Norden des Landes, bei Opa und Oma, packte Kumar auf einmal die Sehnsucht, genau hier, in Jaffna, zu bleiben. „Ich weiß gar nicht mehr genau, wieso das eigentlich so war“, erinnert er sich, „aber ich wollte unbedingt, und meine Eltern haben ja gesagt. Und so bin ich bei den Großeltern geblieben.“

Volles Programm dann in Jaffna für den Jungen von der Teeplantage. Der Großvater war Schulleiter hier im hohen Norden, die Großmutter ebenfalls Lehrerin. Über mangelnde Bildungsangebote konnte sich Kumar wieder nicht beklagen, und er lernte gern und schnell. Nach dem Tod des Großvaters, da war Kumar 13, ging er ins Hochland zurück, aber nur kurz. Nach der Mittleren Reife zog es ihn nach Jaffna zurück: Abitur machen! Das war der Plan. Nur: Die Zeiten waren nicht so. Die Zeichen standen auf Sturm.

Politische Agitation statt Abitur – das war für den Schüler plötzlich keine Frage mehr. Und nicht nur für ihn, für viele der rebellischen jungen Tamilen: „Wir wollten einfach nicht länger hinnehmen, dass wir unterdrückt und geknechtet wurden!“ Die Protestbewegung wuchs, viele Studenten und Studentinnen schlossen sich ihr an. 1978, erinnert sich Kumar, „waren wir schon tausende, und dann war das Ganze ziemlich schnell illegal.“

Kumar wusste damals nicht, welche Tragweite sein Handeln haben würde. Demonstrationen, illegale Zusammenkünfte, das Verteilen von Flugblättern: Man war erfinderisch, wenn es darum ging, die Macht der Singhalesen zu schwächen. „Wir Tamilen waren die Minderheit im eigenen Land“, sagt Kumar, „und in vielen Bereichen benachteiligt, auch wenn es natürlich Ausnahmen gab. Beim Wohnen, bei der Bildung, bei den Karriereaussichten. Wir hatten zum Beispiel kaum Chancen auf eine Beteiligung an der Regierung! Sollte das ewig so weitergehen? Das haben wir uns gefragt!“

Er sitzt hinter dem Schreibtisch in der Beuthstraße und knetet die Hände, und noch immer sieht man ihm die Empörung von damals an.

Erst die Konflikte, dann der Bürgerkrieg

Die Konflikte weiteten sich zum Bürgerkrieg aus, der bis 2009 dauern sollte. Wer im Untergrund arbeitete und aufflog, hatte schlechte Karten. Schließlich wurde auch Kumars Situation prekär. Er war keine zwanzig, und er hatte Angst. Sein Vater („Er hat die Gefahr noch viel mehr gesehen als ich!“) schob ihm einen Pass und ein Visum zu. Einen Reiseagenten hatte der Vater schon bezahlt. Schlepper würde man heute vielleicht dazu sagen. Der Mann hatte Kontakte nach Deutschland. Zufall.

So landete Kumar vor über dreißig Jahren in Ostberlin. Kurz darauf landete er im Übergangslager: in Unna. Lernte Deutsch. Wurde 1984 als Asylant anerkannt. Fünf lange Jahre war Kumar in Unna. Und deshalb ist Kumar einer, der weiß, wovon er spricht, wenn es um Flüchtlinge geht. Wie man sich da fühlt in so einem Übergangslager. Mit all der Angst. Diesem riesigen Gefühl von Verlorensein in einer Welt, die ja nicht die eigene ist, die so weit weg ist von Heimat, dass es weh tut. Tag und Nacht.

In Jeyakumaran Kumarasamys Büro stehen zwei große bengalische Tiger. Sie sind gottlob aus Plüsch, und sie stehen auf einem flachen Regal, und daneben an der Wand hängt großformatig ein Kalender mit fremden Schriftzügen, die rund und irgendwie gemütlich wirken. Das sei, erklärt Kumar, Tamil. Das Kalenderblatt zeigt ein monumentales Gebäude aus Stein: Ein Denkmal für die tamilischen Kriegsopfer, das nach dem Krieg in Südindien errichtet wurde. In Sri Lanka war Kumar nie wieder, obwohl offiziell längst der Frieden eingeläutet wurde. „Ich habe“, sagt Kumar, „gehört, dass sich in Wirklichkeit gar nichts geändert hat. Ich habe einfach Angst, dass mir bei einer Einreise etwas passiert.“

Er zuckt mit den Schultern: Warum sich in Gefahr begeben, wenn man sie kennt?

Und so ist Kumar nicht einmal als sein Vater starb, im vergangenen Dezember war das erst, nach Sri Lanka geflogen; es hat ihm fast die Seele zerrissen. All die Jahre hatte er den Wunsch, dass sein Vater ihn einmal in Deutschland besucht, aber dazu kam es nie, „und dann, als ich hörte, dass er ganz einfach weg war, hat mich das hart getroffen. Das war unheimlich schwer …“

Er hat es von seinen Schwestern erfahren, drei kleinere sind das und eine größere, man ist so weit voneinander entfernt und altert doch gemeinsam über all die Jahre und verständigt sich neuerdings per Skype. So sieht man sich immerhin, aber es ist und bleibt eben doch alles Surrogat.

So viel ist ihm ans Herz gewachsen

Tröstlich immerhin, dass es so viele Landsleute in Dortmund gibt. Im Unionviertel ist die Community riesig und gut vernetzt. Die Singhalesen in der Heimat, sagt Kumar, gehörten dem Buddhismus an; die unterschiedliche Religion der Tamilen hierzulande – sie sind christlich, moslemisch oder hinduistisch – spiele überhaupt keine Rolle.

Er hat seine neue Heimat schätzen gelernt. Seit 1986 ist er mit seiner Lebenspartnerin zusammen, Monika Feilen, die ihm alles bedeutet. Er möchte, dass das so geschrieben steht, weil das ganz einfach die Wahrheit ist. Sie arbeitet heute bei einer Versicherung als Betriebsinformatikerin. Als er sie damals kennen lernte, war sie allerdings, wie sollte es anders sein: Lehrerin …

Und dann gibt es noch so manches, was ihm ans Herz gewachsen ist. So richtig, denn: „Seit der Krieg zu Ende war, und es trotzdem keine Hoffung gab, habe ich einfach kein Heimweh mehr. Das ist als Kapitel zu Ende gegangen.“

Ein bisschen klingt es, als wäre es verordnet, sein „Kein-Heimweh-Mehr-Haben“, aber man kann zum Selbstschutz Gefühle ja auch steuern, und Kumar handelt ganz in seinem Sinn. Er lässt sich mit Haut und Haaren auf sein Leben in Deutschland ein. Der VMDO bedeutet ihm viel. Auch die Zusammenarbeit mit dem Quartiersbüro in der Heinrichstraße. Und dann ist Kumar Vorsitzender des tamilischen Kulturbüros. Lange Jahre stand sein Schreibtisch in der Rheinischen Straße, Roland Puers hieß der Vermieter, ein Zahnarzt, sagt Kumar, bei dem er immer Herzklopfen hatte. Aber nicht aus Angst vor dem Bohrer, sondern wegen der Mietrückstände. „Wir hatten kaum Geld, aber er war immer großzügig und verständnisvoll. Er wollte auch, dass die tamilischen Kinder bei uns Deutsch lernen und sich miteinander aufgehoben fühlen. Ich bin ihm noch heute sehr dankbar dafür.“

Wichtiges Thema: Nachhaltigkeit

Im Lauf der Jahre wurden viele junge Menschen im Bildungszentrum des tamilischen Kulturvereins gefördert. Immer war auch Nachhaltigkeit ein wichtiges Thema. Und so sind viele der jungen Leute von damals heute als Dozent oder Dolmetscherin für Tamil unterwegs – und manche von ihnen lehren Musik, um alte Traditionen zu bewahren, zum Beispiel Trommeln auf der Miruthangam, die man von beiden Seiten bespielt. Von Anfang an, sagt Kumar, sei er auch Friedrich Fuß dankbar gewesen, der sich als Grüner und später Bezirksbürgermeister ihrer Fragen und Probleme immer angenommen habe. Wie auch Stadtkämmerer Jörg Stüdemann oder Oberbürgermeister Ullrich Sierau: „Die setzen sich immer für den VMDO ein, und wenn es sein muss, sind sie sofort in der Beuthstraße, um sich unsere Probleme anzuhören!“

Als vor ein paar Jahren Dr. Ümit Kosan in Kumars Leben trat, war das sozusagen ein Sahnehäubchen. „Der kam in mein Büro und hatte die Idee mit dem VMDO. Klar, da wollte ich mitmachen. Das hat uns begeistert, das war eine echte Herausforderung, woll? Und dann haben wir das einfach konsequent durchgezogen!“

Kumar liebt auch das Unionviertel, obwohl er mit seiner Frau nach wie vor gern in der Uhlandstraße wohnt. Er und seine Leute haben sich voller Elan diverser Baumscheiben angenommen. Vor dem Haus der Vielfalt, verrät er stolz, haben sie 600 Blumenzwiebeln verbuddelt. Schon jetzt sieht es dort frisch und bunt und frühlingshaft aus. Wie wird das erst im Sommer werden …

 

Text: Ursula Maria Wartmann
Foto: Sabrina Richmann

Frühjahr 2015